Endlich wieder Land unter den Füßen
Ich machte vor Freude Luftsprünge, als Prof. Dr. Fütterer, der Fahrtleiter unseres Fahrtabschnittes, uns gestern eröffnete, dass unsere Hoffnungen auf den langersehnten Landgang erfüllt werden sollten. Im Gegensatz zu den vergangen Tagen bekamen wir nun endlich wieder Festland zu Gesicht. Wir fuhren durch die Admiralty Bay, wo ein Rettungsbootmanöver für die Besatzung durchgeführt werden sollte.
Eingepackt in Überlebensanzüge kann der Landausflug beginnen
Anschließend hatten alle Wissenschaftler die Möglichkeit, in den orangefarbenen kleinen Booten, in denen im Notfall bis zu fünfzig Personen Platz haben, an der Küste entlang zu fahren. Unsere Gruppe fuhr jedoch per Schlauchboot mit meinem Projektleiter und einem belgischen Wissenschaftler zur amerikanischen Forschungsstation. Da wir diese mit einem Schlauchboot, der Endurance, erreichen wollten, mussten wir uns mit Überlebensanzügen ausrüsten. Für Temperaturen weit unter 0°C mögen diese Kleidungsstücke sehr sinnvoll sein, doch als wir den Anzug im Helikopterhangar anzogen, begannen wir ganz schön an zu schwitzen.
Auf dem Arbeitsdeck angekommen, wartete die nächste Herausforderung auf uns. Mit Hilfe einer Strickleiter mussten wir in das Schlauchboot gelangen. Schon bei etwas Wind ist dies jedoch gar nicht so einfach, vor allem dann nicht, wenn zwanzig Leute um einen herum stehen und zusehen, wie man unbeholfen in die Endurance plumpst. Als wir jedoch losfuhren, konnte ich mein Glück kaum fassen. Obwohl uns der eintretende Schneefall und der aufkommende Nebel zunehmend die Sicht auf die Küste verweigerten, hatte ich die kommenden neunzig Minuten ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
Doch mit der Verschlechterung der Witterungsbedingungen traten auch die ersten Probleme auf. Der Chiefmate, der die Richtung angab, konnte die amerikanische Station im überraschend schnell dichter werdenden Schneetreiben nicht mehr ausfindig machen. Der Nebel war mittlerweile so dicht, dass man kaum zehn Meter weit sehen konnte. Das Brückenpersonal auf der Polarstern, mit welchem wir durchgehend Funkkontakt hatten, gab uns zwar Richtungsanweisungen, welche uns aber nicht weiterhalfen, da uns der Blick auf die Küste von Admiralty Bay verwehrt blieb. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als mit den Rettungsbooten, welche wir nach einer halben Stunde entdeckten, zurück zur Polarstern zu fahren.
Enttäuscht darüber, dass wir nun doch keinen Fuß aufs antarktische Festland setzen konnten, war jedoch keiner aus unserer Gruppe. Die Fahrt mit dem Motorschlauchboot Endurance war im Gegensatz zur Fortbewegung mit der Polarstern ein richtiges Abenteuer.
Außerdem kam es mir zum Schluss so vor, die Situation des englischen Polarforschers Shackleton Anfang des letzen Jahrhunderts ein bisschen besser nachvollziehen zu können. Anschließend freuten wir uns im durchgefrorenen Zustand auf eine heiße Tasse Kaffee und ein Stück Zitronentorte. Die Stewardessen der Polarstern hatten nämlich schon alles in der Messe II vorbereitet, weil sie aus Erfahrung wussten, dass eine ausgiebige Teezeit am besten gegen Nässe und Kälte wirkt.
Katharina Voigt
Eisberge!
Irgendwann in der Nacht werden Katharina und ich von einem Klopfen an unserer Kabinentür geweckt. Etwas schlaftrunken öffnen wir die Tür: Vor uns steht Christoph, einer der Wissenschaftler an Bord, und fordert uns aufgeregt auf, mit nach draußen zu kommen. So etwas hätten wir noch nie gesehen. Wir hören Wörter wie Eisberg und Lichtshow und verstehen eigentlich nur Bahnhof. Trotzdem ziehen wir uns Mütze und Handschuhe an und torkeln noch etwas schläfrig nach draußen.
Zerklüfteter Eisberg mit blauem Gletschereis und Brandung
Unsere Müdigkeit vergeht allerdings schlagartig, als wir sehen, was Christoph versucht hatte zu beschreiben: Direkt vor uns liegt ein riesig weiß leuchtender Eisberg. Es dauert ein bisschen, bis wir den Grund für das helle Leuchten ausmachen können: Es sind die Eisberg-Suchscheinwerfer der Polarstern, die die kantige und zerklüftete Oberfläche des weißen Kolosses abtasten.
Plötzlich verschwindet der Eisberg wieder in der Dunkelheit; die Scheinwerfer der Polarstern suchen nach weiteren Eisbergen, wie es scheint. Wir begleiten Christoph auf die Brücke, die nachts durch ihre Dunkelheit, das leise Summen der Geräte und die grünlichen und bläulichen Signallampen immer etwas gespenstisch wirkt. Um das Radar stehen mehrere Personen versammelt – offensichtlich ebenfalls auf der Suche nach weiteren Eisbergen.
Die Polarstern vor dem Polarriesen
Nach ungefähr einer Viertelstunde erfassen die drei Eisberg-Suchscheinwerfer erneut die Schemen einer Eisberg-Konstellation. Alle Anwesenden starren gebannt durch die Frontfenster der Polarstern: „Der müsste an die 90 Meter lang sein“, schätzt der wachhabende Offizier, als wir uns nähern und die bizarren Strukturen des Tafelberges immer deutlicher werden. Beim Anblick der Eisberge kann man gar nicht anders, als an die Titanic zu denken, durch deren Untergang im Jahr 1912 die weißen Polarriesen traurige Berühmtheit erreichten.
Andererseits jedoch läßt einen ihre majästetische Erscheinung alle Gefahren vergessen, die von ihnen ausgehen. Denn die Titanic war keineswegs das erste Schiff, das in den Randgebieten der Polarmeere mit Eisbergen kollidierte. So ist bereits aus dem Jahre 1893 überliefert, dass die englische „Aethelberth" mit einem Eisberg zusammenstieß. Zwar konnte die Mannschaft nach einer vorübergehenden Flucht in die Rettungsboote das Schiff wieder fahrtbereit machen, doch der Schock saß tief. Nie wieder hörte man dagegen von vier Schiffen, die im Jahre 1907 in der Passage von Kap Horn verschwanden.
Die Gruppe vor einem kleinen Eisberg
Ob die Polarstern ebenfalls Gefahr liefe zu sinken, wenn wir einen Eisberg rammen würden, fragen wir den Offizier. „Keine Sorge, Mädchen“, glaubt er uns beruhigen zu müssen. „Das gäbe lediglich ein paar hässliche Beulen und schläfrige Wissenschaftler würden aus den Betten fallen und sich am nächsten Morgen bei mir beschweren“, fügt er schmunzelnd hinzu.
Katharina und ich beschließen, ihm zu glauben und machen uns schließlich auf den Weg zurück in unsere Betten. Jedoch nicht ohne einen letzten Blick auf das Grün des Radarschirmes zu werfen, das uns in der Gewissheit ins Bett gehen lässt, dass wir auch am kommenden Tag nicht auf Anblick faszinierender Eisberge verzichten müssen.
Bereits wenige Stunden später, es war mittlerweile 7 Uhr morgens, klopft es erneut an unserer Tür: „Katharina, Mareike, aufwachen!“, schallt uns die Stimme von Monika, einer der Stewadessen entgegen. Und dann wieder dieses Zauberwort, das unsere Herzen höher schlagen lässt und das Aufstehen ungemein erleichtert: „Eisberge!“
Mareike Aden
[Zu Tag 32 liegt kein Bericht vor.]