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Berichte von der „Polarstern“ (Tag 26 und 27)

TAG 26

Die Rocky Horror Critter Show

Für diejenigen, deren Gruselgelüste durch das täglich wechselnde Videoprogramm nicht ausreichend befriedigt werden, stand heute ein besonderer Leckerbissen auf dem Programm: Tag der öffenen Tür in den Laboren auf dem E-Deck, oder auch die „Rocky Horror Critter Show“, wie zahlreiche Aushänge in den Treppenhäusern und Fluren ankündigten. Die Hauptrolle spielen die ebengenannten sowohl lebenden als auch bereits in Formol eingelegten kleinen Monster der Spezies der Amphipoden. Hinter diesem in Bezug auf Gruselaspekte vielversprechenden Namen wie Tanadacea, Ischnomesidae oder Antarcturidae Cylindracturus verbergen sich relativ harmolose Asseln, von denen einige jedoch auf Grund des in der Antarktis vorherrschenden Gigantismus eine erstaunliche Größe im Vergleich zu anderen Asseln dieser Weltmeere aufweisen.

Foto einer Riesenassel, 18 k

Riesenassel

So misst die Scherenassel, die sich der Koch gerade unter dem Mikroskop anschaut, anstatt weniger Milimetern einen ganzen Zentimeter an Körperlänge. Doch nicht nur der Koch hat sich eingefunden um die Asseln genauer unter die Lupe zu nehmen. Auch der Kapitän, die Stewardessen und einige Mechaniker haben neben zahlreichen Assel-fremden Wissenschaftlern die Einladung zum Gruseln angenommen.

So richtig angsteinflössend sind die Asseln, die sieben Peripoden ( Schreitbeine), fünf Peripoden zum Atmen und zwei Uropoden, die als Sensoren dienen, allerdings nicht. Beindruckend sind ihre merkwürdig geformten Körper mit Antennen aber allemal.

Foto mit Frau Prof. Dr. Brandt, 40 k

Frau Prof. Dr. Brandt stellt neue Tiefseelebewesen vor

Doch nicht nur Asseln sind im Labor E-527, das von einem „Herr der Ringe"-Fan auf den Namen „Fangorn" umgetauft wurde, im Angebot: Auch Würmer, die ihren Weg aus der Tiefsee unter die Mikroskope der ANDEEP-Biologen gemacht haben, sind anzusehen. Im Mittelpunkt des Interesse steht hier ein haariger, stacheliger Wurm mit Borsten, der Klasse Euphrosine, der mit einer erstaunlichen Länge von einem Zentimeter, anstatt weniger Milimeter, ebenfalls ein Vertreter des in antarktischen Gewässern zu beobachtenden Gigantismus ist.

Das war ja alles schön und gut und vor allem lehrreich – aber gegruselt hat sich keiner von uns – wie auch bei im Hintergrund spielender klassischer Musik.

Wir verabschieden uns aus dem Wald „Fangorn“, also dem Nasslabor E-527, und gehen treppabwärts zum Container Labor, wo man sogar schon Schlange stehen muss. Der zweite Teil der „Rocky-Horror-Critter Show" beginnt:

Im „Amphi"-Theater, wie die Amphipoden liebevoll genannt werden, ist es dunkel und kalt. Derartige Bedingungen sind notwendig um den zahlreichen glibberigen Monstern mit Antennen das Überleben zu erleichtern. Die Wissenschaftler Fabienne und Claude aus Belgien und Michael aus Bochum zeigen uns stolz die Tierchen, die sie mit ihren Geräten aus der Tiefe geholt haben. Besonderen Eindruck hinterlässt ein krebsroter Wasserfloh, der obwohl noch Jungtier, beinahe fünf Zentimeter misst. Wie groß denn ein ausgewachsenes Exemplar sei, wollen wir wissen. „So um die dreißig Zentimeter“, schätzt Michael, will sich aber nicht festlegen.

Foto von Mareike und Michael mit Assel, 22 k

Mareike und Michael mit Assel

Dann nimmt das Gruseln seinen Lauf: Michael taucht seine Hand in eines der zahlreichen Aquarien und angelt nach irgendetwas: Zum Vorschein kommt eine Riesenassel, mindestens zwölf Zentimeter lang und sieben Zentimeter breit – und er setzt sie uns, einem nach dem anderen, auf die Hand. Die Antennen der Asseln wanken hin und her und die Augen bewegen sich, wenn man genau hinschaut, scheinen einen genau anzusehen. Allem Anschein nach findet die Riesenassel Gefallen an menschlichen Händen, denn sie krallt sich fest und ist nur mit viel Überzeugungskraft dazu zu bewegen, ihren Weg zurück ins mit Eiswasser gefüllte Becken anzutreten.

Es wird kalt im Kühlcontainer und wir verabschieden uns – und die Monsterassel hat es letztendlich doch noch geschafft, uns einen kleinen Nervenkitzel zu verschaffen.

Ich saß heute Morgen in meiner Kammer und überlegte, was am heutigen Tag so alles anstehen würde. Nur noch eine Woche werden wir in den antarktischen Gewässern verweilen.

Nächsten Freitag wird das Fahrtziel Punta Arenas heißen. Somit beginnt nun die „Endspurtphase“. Bevor wir von Bord gehen, gibt es noch eine Menge zu tun. Die Schülerinnen und Schüler sind mit ihrer Facharbeit gut in der Zeit.

Teilweise fehlen noch ein paar dokumentierende Bilder, und so kommt es immer wieder vor, dass Herr Stracke oder ich von ihnen vom Computer oder vom Schreibtisch weggezogen werden, um von ihrer Arbeit Fotos zu machen. Wir müssen zwar keine Facharbeit schreiben, doch am Ende des Fahrtabschnittes erhält Prof. Fütterer von allen Wissenschaftlern einen ausführlichen Ergebnisbericht über die Zeit an Bord. Also heißt es für Herrn Stracke und mich auch „ranklotzen“. Unser Text wird wohl eher pädagogischen statt biologischen Inhaltes sein.

Am folgenden sogenannten Wochenende, das es hier ja nicht gibt, werden Herr Stracke und ich eine Liste erstellen, was wir bereits für die beiden Schulen an Unterrichtsmaterial beschafft haben, und was uns noch auf der langen Liste fehlt. Da die nächsten Tage die letzten Hols an Bord kommen werden, werden wir im Fischlabor versuchen, noch möglichst viele Fische und Tintenfische einzulegen. Neben der vielen Arbeit bleibt aber noch genügend Zeit, sich mit den verschiedenen Wissenschaftlern bei einer Tasse Kaffee zu unterhalten. Durch die Reihe sind diese von unserem Projekt sehr angetan. So manch einer bedauert es, dass seine Kinder nicht in Aurich zur Schule gehen. Denn solch ein Praktikum hätte jeder der Forscher hier an Bord der „Polarstern“ gerne seinen Sprösslingen ermöglicht.

Regina Scherf, Lehrerin

TAG 27

Das Kreuz des Südens

Wem es nach verrichteter Arbeit, sei es im Foto- oder Fischlabor, aller Kälte und Müdigkeit zum Trotz, gelingt, den inneren Schweinehund zu überwinden und zu nächtlicher Stunde den Weg nach draußen anzutreten, wird in den meistens klaren Nächten mit einem wunderschönen Sternenhimmel belohnt. Der Mittelpunkt dieses Sternenhimmels, der auf Grund einer reineren Atmosphäre in der südlichen Hemisphäre viel klarer ist als der im Norden, ist das „Kreuz des Südens“.

Foto von Katharina und Mareike, 20 k

Katharina und Mareike informieren sich über Sternbilder

Das Kreuz des Südens, dessen lateinischer Name „Crux" ist, ist die zwar kleinste aber dennoch eine sehr elegante und besondere Konstellation am Sternenhimmel. Allein die Erwähnung des „Southern Cross" löst unzählige Assoziationen aus; die meisten davon sind äußerst romatisch und von exotischer Natur. Hat man nicht schon in unzähligen Romanen gelesen wie Lissy von ihrem Piraten Roy an einem Palmenstrand unter dem Kreuz des Südens in die Arme geschlossen wurde? An die antarktische Halbinsel hat wohl keiner dieser einfallsreichen Autoren gedacht, sondern mit der Erwähnung des „Southern Cross" wohl eher die tropischen Gebiete dieser Erde vor dem Auge des Lesers heraufbeschwören wollen.

Aber gerade von der „Polarstern“ aus ist jenes Sternbild besonders deutlich zu erkennen. Schließlich wird das Auge des Betrachters nicht von Stadtlichtern oder -geräuschen abgelenkt.

Aufgrund seiner äußerst südlichen Lage gilt das sagenumwobende Kreuz des Südens als eine moderne Konstellation. Denn nicht immer identifizierte man es als solches: Im Altertum ging man zum Beispiel noch davon aus, dass es kein eigenständiges Sternbild, sondern lediglich ein Teil des Sternbildes „Centaurus" sei. Heute weiß man, dass Centaurus das Kreuz von drei Seiten umgibt.

Vor mehreren hundert Jahren leitete das Kreuz des Südens europäische Entdecker der südlichen Hemisphäre, da die obere Spitze des Kreuzes den Weg zum Pol anzeigte. Denn während über dem Norpol der hell leuchtende Nord-Stern „Polaris" scheint, fehlt ein solches Gegenstück am Sternenhimmel über dem Südpol. Somit orientierten sich wohl auch die Südpolarforscher Shackleton, Amundsen und Scott an dem „Kreuz des Südens“, um den Breitengrad ihrer Träume, nämlich 90° Süd zu erreichen.

Während klarer Nächte erscheint die Milchstraße, die das Kreuz des Südens umgibt, als ein wolkiges Gebiet. Dies ist eine Folge von der Strahlung von Sternen, die zu weit weg sind, um individuell als solche erkannt zu werden. Das erklärte uns jedenfalls einer der Wissenschaftler, der sich in seiner Freizeit nicht nur mit Meeresgeschöpfen beschäftigt. Hier in den Gewässern des antarktischen Antlantiks waren diese klaren Nächten bisher relativ häufig. Um das gesamte Kreuz des Südens sehen zu können, muss man sich südlich des 25. Breitengrads Nord befinden, was ungefähr der Lage von Florida, der Sahara oder Taiwan entspricht.

Mit einem momentanen Aufenthaltsort von 62° Süd dürften wir dieser Anforderung mehr als Genüge tun und kommen so in den Genuss, wann immer wir wollen, beziehungsweise wann immer wir unserer Müdigkeit trotzen können und nicht wie meistens um 22.00 Uhr erschöpft in unserer Koje liegen, das berühmte Kreuz des Südens am Himmel zu betrachten.

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