Als Micky Mouse auf Sightseeing-Tour
Die Luft ist stickig, es dröhnt und auch der Seegang bleibt hier unten nicht unbemerkt. Die Worte des leitenden Ingenieurs Andreas Pluder sind kaum zu hören, so laut ist es im Maschinenraum.
Das Herz der Polarstern: der Maschinenraum
„Wir befinden uns hier im Herzen der Polarstern“, so informierte uns der Ingenieur über die Bedeutung unseres Aufenthaltsortes und fügte schmunzelnd hinzu „Auch wenn die auf der Brücke etwas Anderes behaupten“.
Bevor wir das Herz, also den Maschinenraum, näher unter die Lupe nehmen dürfen, müssen wir uns zunächst einmal in „Micky-Mäuse" verwandeln. So werden nämlich diejenigen bezeichnet, die dort arbeiten und auf Grund der extremen Lautstärke Ohrenschützer tragen müssen. Die gleichen Vorschriften gelten für Teilnehmer einer Sightseeing-Tour wie uns.
Zunächst einmal werden uns ein paar Zahlen aufgetischt. Wie die meisten Zahlen, die man in dieser Extremlandschaft zu hören bekommt, hinterlassen auch diese nachhaltigen Eindruck bei uns. So erfahren wir, dass die Polarstern pro Tag ungefähr 70 Tonnen Sprit, 1400 Kilowatt Strom und 30 bis 40 Tonnen Wasser verbraucht.
Vier Hauptmaschinen von je 5.000 PS
„Woher kommt denn das ganze Wasser?“ fragen wir, auch wenn diese Frage mit der Gewissheit, dass um 4.000 Meter Wasser unter den Füßen ist, zunächst etwas absurd erscheint. Aber wir meinen das Trinkwasser, mit dem wir uns die Zähne putzen, duschen und mit dem der Abwasch gemacht wird.
Anders als in Jugendherbergen werden wir hier diesbezüglich sehr verwöhnt, da wir am Geschirrspülen nicht beteiligt sind. Es gäbe zwar einen Wasserspeicher auf der Polarstern, aber der wäre nach drei bis vier Tagen leer, wenn kein Nachschub da wäre. „Deshalb machen wir hier unser eigenes Trinkwasser, indem wir es durch Entsalzungsanlagen pumpen und somit entmineralisieren“, klärt uns Andreas Pluder auf.
Im Endeffekt sei das Wasser hier weicher als zu Hause, es enthalte weniger Mineralien. Das merke man zum Beispiel daran, dass das Wasser länger schäumen würde, wenn man sich die Hände wasche.Aus fünf Kubiklitern Seewasser würde ein Liter Trinkwasser hergestellt, so Pluder weiter.
Es geht treppabwärts: Die Lautstärke nimmt zu. Wir befinden uns nun im Hauptmaschinenraum, indem die vier Hauptmaschinen mit einer Stärke von je 5.000 PS stehen. „Das hier ist Maria und hier haben wir die Dolly“, sagt der Ingenieur mit Blick auf zwei der Maschinen. „Jede hat ihren eigenen Namen“, erklärt er, als er unsere leicht irritierten Blicke sieht.
Wir verabschieden uns von den voluminösen Damen. Weiter geht es zur Müllverbrennungsanlage, dem Abwasserreinigungssystem, den Klimakompressoren, dem Bugstrahlruderraum und schließlich zum Feuerlöschsystem. Das Herz der Polarstern wird für uns immer mehr zu einem eindrucksvollen Labyrinth der Technik. „Wir sind hier wie eine eigene Stadt“, meint Pluder, „gebt uns Sprit und genügend Proviant und den Rest machen wir hier selbst.“
Andreas Pluder führt uns zu einer Plattform, von der aus man durch eine steil nach unten fallende Röhre bis auf den Schiffsboden hinuntergucken kann. Wie dick denn die Stahlschicht sei, die einen da unten vom eiskalten Meereswasser trenne, will Fadi wissen.Aus irgendeinem Grund scheint ihn die Antwort von Andreas Pluder , dass das ungefähr eine 5 Zentimeter starke Schicht sei, nur eingeschränkt zu beruhigen.
Schaut man nach draußen auf das Meer und die Gletscherberge, vergisst man von Zeit zu Zeit wie tödlich diese Umgebung eigentlich ist. Doch hier unten im Maschinenraum, im Herzen der Polarstern, wird deutlich, wie viel technischer Aufwand nötig ist, ein solch relativ normales Leben zu führen, wie wir alle es hier tun.
Alltag gibt es an Bord nicht
Wie jeden morgen klingelten unsere Wecker auch heute um sieben Uhr. Eine halbe Stunde musste reichen sich aus dem Bett zu quälen, um anschließend, ab halb acht, zusammen zu frühstücken.
Die Auricher beim Mittagessen
Alle Mahlzeiten finden in der sogenannten Messe II statt, einem großen Raum mit sechs Tischen à sechs Sitzplätzen. Man hat eine Stunde Zeit, frische Brötchen, verschiedene Sorten Müsli und Rührei zu essen. Doch auch heute bestand die Möglichkeit einen warmen, pikanten Imbiss zu sich zu nehmen: Hamburger.
Diejenigen, die nachts im Einsatz waren und zum Beispiel wie Robert Diaz, Mareikes Projektleiter, die Tiefseekamera „SPI" bis zu vier mal ins Wasser gelassen hat, benötigen anschließend Stärkung.
Interessant ist es auch festzustellen, dass einige das Bett aufsuchen, während andere gerade erst aufgestanden sind. Da kann es schon einmal passieren, dass man einigen Wissenschaftler tagelang nicht begegnet, oder lediglich total übermüdet beim Briefing antrifft.
Das Frühstücksbuffet
Diese Versammlung wird jeden morgen um neun Uhr einberufen und findet im Kinoraum statt. Dort werden entweder die Projekte der einzelnen Wissenschaftler vorgestellt oder aber die zwischenzeitlichen Untersuchungsergebnisse bekannt gegeben. Anschließend arbeiten wir in unseren jeweiligen Projektgruppen mit, bis wir uns beim Mittagessen wiedertreffen und diskutieren, wer die interessantesten Aufgaben zu verrichten hatte.
Das Mittagessen findet von halb zwölf bis halb eins statt. In der Regel gibt es deutsches Essen, mit Ausnahme einiger weniger chinesischen Gerichte. Des weiteren wird grundsätzlich eine vegetarische Alternative angeboten, wenn man den Samstag Mittag außer Acht lässt. Am vorletzten Tag der Woche gibt es immer Eintopf, der jedoch von uns Schülern meist verschmäht wird.
Dazu muss man aber sagen, dass uns diese Auszeit allen sehr willkommen ist, denn langsam macht es sich bemerkbar, dass bis jetzt keiner dem guten Essen lange widerstehen konnte.
Anschließend gehen wir in der Regel aufs Helikopterdeck und machen Fotos, wenn es das Wetter zulässt oder sehen nach, ob es auf dem Arbeitsdeck etwas Neues zu entdecken gibt.
Der Frühstücksraum
Denn auf das eigene Projekt möchte sich keiner von uns beschränken. Im Gegenteil, wir wollen so viele Eindrücke von wissenschaftlicher Arbeit bekommen, wie nur irgend möglich ist.
Und da Seeluft bekanntlich hungrig macht, gibt es drei Stunden später, um halb vier, Kaffee, Tee und eine große Auswahl an Kuchen. Für sechzig Minuten erlaubt sich ein Großteil der Wissenschaftler eine Auszeit. Man liegt jedoch falsch in der Annahme, wenn man denkt, dass nicht über ihre Arbeit geredet wird.
Abschalten kann hier keiner und es ist keinesfalls selten, dass sich über niedliche Asseln und „knuffige" Würmer unterhalten wird. Zu diesem Zeitpunkt, wo eigentlich keiner von uns mehr mitreden kann, geschweige denn nachvollziehen kann, wie man seine Versuchsobjekte dermaßen vergöttern kann, ziehen sich Markus und Mareike mit Herrn Stracke und Katharina und Fadi mit Frau Scherf unauffällig in ihre Kabinen zurück, um die noch ausstehende Mathematikklausur vorzubereiten.
Nach einer Stunde ist auch das Abendessen schon angerichtet, so dass das Gefühl von Hunger, an welches wir uns jedoch nur noch sehr vage erinnern können, gar nicht erst aufkommen kann.
Ein Blick in den Salon des Schiffes
Doch bevor wir uns anschließend in die Bibliothek setzten und unsere Facharbeit weiter schreiben, welche wir am Ende unserer Reise abgeben müssen, besteht noch das letzte mal für diesen Tag die Möglichkeit, dass wir eine Email von zu Hause bekommen haben. Im Computerraum haben wir die Gelegenheit, dies zu überprüfen.
Wenn uns dann berichtet wird, dass es mal wieder nichts Neues gibt und dass der graue Alltag extrem ermüdend ist, wird uns erneut bewusst, was für ein großes Glück uns widerfahren ist, dass wir die Chance bekamen, an einer Polarsternexpedition teilzunehmen.
Denn auch Alltag ist ein Wort, welches auf dem Eisbrecher nicht existiert. Hier passiert jeden Tag etwas Neues, sodass Langeweile gar nicht erst aufkommen kann.