In seinem zitatenreichen Buch über die „Romantik“ stellt Rüdiger Safranski – was sonst? – auch den berühmten Satz des Novalis vor, der als „die beste Definition des Romantischen“ gilt: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe“, so schreibt Novalis, „romantisiere ich es.“
Wer von diesen vier Handlungsmöglichkeiten liest und überlegt, wo man sie im eigenen Dasein einsetzen und anwenden kann – wir möchten doch alle romantisch sein oder uns wenigstens so vorkommen –, der wird zwar an viele Bereiche des Alltags denken, diesem gemeinen und gewöhnlichen Teil des Leben, aber einen Zugang zu unserer Welt höchst wahrscheinlich unbeachtet lassen – den der Naturwissenschaften. In den Kreisen von Physik, Chemie, Biologie und all der anderen Disziplinen erwarten wir systematisches Vorgehen, rationale Analyse und ähnliche Qualitäten, aber um Gottes Willen doch keine Romantik!
Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein als dieses leichtfertige Vorurteil, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Die Naturwissenschaften romantisieren die Welt, wenn die Worte von Novalis zutreffend beschreiben, was mit dieser Geisteshaltung und Denkweise gemeint ist, die um das Jahr 1800 herum wirksam und mit einem Ausdruck benannt wurde, der immer an einen Roman und damit an die Möglichkeit denken lässt, die Welt durch die Form zu verstehen, die man ihr gibt.
Beginnen wir mit der Auskunft, dass romantisiert, wer „dem Bekannten die Würde des Unbekannten“ geben kann. Es mag zwar überraschend klingen, aber genau darin besteht ein wesentlicher Aspekt des Unternehmens, das wir als Naturwissenschaft kennen. Warum dies der Fall ist, hat unter anderem Karl Popper beschrieben. Der Philosoph des kritischen Rationalismus hat in seinem Schriften mehrfach darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit von Naturwissenschaftlern darin besteht, etwas, das man sieht – das Bekannte –, durch etwas zu erklären, das man nicht sieht – das Unbekannte. Betrachten wir einige Beispiele: Das (sichtbare) Fallen eines Steines etwa wird seit Isaak Newton durch die (unsichtbare) Gravitation erklärt, die von Massen ausgeht, und das (sichtbare) Ausrichten einer Kompassnadel kann auf das (unsichtbare) Magnetfeld der Erde zurückgeführt werden. Das Bekannte – das Fallen und das Drehen – bekommt sogar die Würde des Unbekannten, denn wie das Schwerefeld der Erde die Gravitationskraft zustande bringt und wie unser rotierender Planet zu seinem Magnetfeld kommt, bleibt der Forschung so verborgen wie am ersten Tag, auch wenn die fraglichen Phänomene quantitativ vollkommen beherrscht werden.
Übrigens – die Idee des Magnetfeldes geht auf das englische Multitalent Michael Faraday zurück, dessen grosse Zeit in das frühe 19. Jahrhundert fällt, also genau in die Zeit, die wir als Romantik bezeichnen, wenn von Musik, Malerei und ähnlichen kreativen Tätigkeiten die Rede ist. Dass es romantische Dichtung und Philosophie gibt, glauben wir sofort, auch ohne dies im Detail – etwa an der Definition des Novalis – zu prüfen. Dass auch ein Wissenschaftler romantisch vorgehen – und dabei Erfolg – haben kann, nehmen wir kaum zur Kenntnis, obwohl es sich sehr lohnt. Zum Romantischen gehört – in Einklang mit den Worten von Novalis – die Überzeugung, dass es ein Gesetz der Polarität gibt. Zu jeder Kraft und jedem Stück gibt es eine Gegenkraft bzw. ein Gegenstück, und als Beispiele werden gerne das Wachen und Schlafen und damit die Tag- und Nachtseite des Denkens angeführt. Bei Faraday kann man die romantische Lust nach Spiegelsymmetrie ganz konkret finden. Denn nachdem 1809 entdeckt worden war, dass ein elektrischer Strom ein Magnetfeld produziert, versuchte Faraday – aus romantischer Überzeugung heraus – das Gegenstück zu erreichen, das heisst mit einem Magnetfeld einen elektrischen Strom in Bewegung zu versetzen. Zwar musste er lange probieren, aber 1831 hatte er endlich Erfolg, und seitdem wissen wir, wie man Strom generiert, nämlich durch elektromagnetische Induktion, und wir tun dies bis in unsere Tage. Wer heute ein Licht oder einen Computer einschaltet, nutzt eine romantische Entdeckung, und es wäre schön, wenn man wenigstens beim Ausschalten sich für diesen Gedanken erwärmt.
Kommen wir zu einer weiteren Forderung von Novalis, die wir ebenso leicht mit naturwissenschaftlichen Erfahrungen erfüllen können. Erinnern wir uns an das Wunderjahr 1905 von Albert Einstein, dessen hundertste Wiederkehr vor kurzem gross begangen wurde. Die erste – und wirklich revolutionäre – Arbeit, die Einstein 1905 vorlegte, machte deutlich, dass Licht sowohl als Welle als auch als Teilchen in Erscheinung treten kann. Wir nehmen diese Einsicht heute ohne Aufregung zur Kenntnis und zähmen sie mit dem Wort von der Dualität des Lichtes. Für Einstein brach damals aber das ganze Gebäude der Physik zusammen, schliesslich hatte er nicht das Licht erklärt, sondern erklärt, dass sich Licht nicht erklären lässt. Denn wenn etwas Welle und Teilchen zugleich sein kann, dann kann man zwar alles Mögliche darüber herausfinden – beim Licht die Wellenlänge, die Geschwindigkeit, die Polarisation und vieles mehr –, man kann nur nicht mehr sagen, was es eigentlich ist.
Mit anderen Worten, Einstein hat „dem Gewöhnlichen“ – dem Licht des Tages – „ein geheimnisvolles Ansehen“ gegeben. Er hat gezeigt, dass Licht bei aller wissenschaftlichen Durchleuchtung ein Geheimnis bleibt. Und wenn ihn das zunächst auch verwirrt und geärgert hat, so hat er zuletzt doch mit dieser Romantisierung seinen Frieden gemacht, indem er sagte: „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Wissenschaft und Kunst steht.“
Wenden wir uns nun der Forderung des Novalis zu, „dem Endlichen einen unendlichen Schein“ zu geben, und fragen, ob die Naturwissenschaften auch dazu in der Lage sind. Es wird an dieser Stelle niemanden überraschen, wenn er erfährt, dass die Antwort „Ja“ heisst, und die konkrete Lösung steckt erneut im Licht, wobei es diesmal nicht um seine Natur, sondern um seine Bewegung geht. Wir wissen alle, dass Sonnenstrahlen von einem Spiegel reflektiert werden und dass dabei physikalische Gesetze gelten. Der Ausfallswinkel muss zum Beispiel gleich dem Einfallswinkel sein. Doch so öde und banal das klingt und so ewig lang das schon bekannt ist: Zu verstehen, warum das Licht sich so verhält, wenn es auf einen Spiegel oder eine andere Oberfläche trifft, hat den Physikern viel Zeit und noch mehr Mühe bereitet. Wirklich gelungen ist ihnen das erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen einer Theorie, die im Jargon den langen Namen Quantenelektrodynamik trägt, was aber nett mit QED abgekürzt werden kann und wird. Mit dem dazugehörenden theoretischen Handwerkszeug kann ein Physiker genau zeigen, was passiert, wenn das Licht – mit seiner Doppelnatur, siehe oben – auf eine feste Oberfläche trifft, die zwar glatt aussieht, vom Standpunkt ihres atomaren Aufbaus aber keineswegs so ist. Wenn die Lichtteilchen auf die keinesfalls glatten Atome und Elektronen des Materials treffen, aus dem ein Spiegel besteht, dann ist das etwa so, als ob ein Tennisball auf ein Kopfsteinpflaster auftrifft, und das heisst, dass überhaupt nicht klar ist, in welche Richtung er springt.
Beim Licht ist es aber oberflächlich klar. Es agiert nach dem erwähnten Reflexionsgesetz, was die tiefer gehende Frage aufwirft, wie dies vom atomaren Standpunkt aus gelingen bzw. zustande kommen kann. Die Antwort liefert die besagte Theorie QED, und sie tut dies auf eine romantische Art und Weise. Sie erlaubt den Lichtteilchen nämlich, alle möglichen – also unendlich viele – Wege zu gehen, und zeigt, dass die äusseren Bedingungen dafür sorgen, dass die innere Unendlichkeit nur Schein bleibt und sich ihre Anteile gegenseitig aufheben. Zu jedem Weg findet sich ein Gegenweg – mit einer Ausnahme, und das ist der Pfad, der übrig bleibt und gesehen wird.
Übrigens gibt die Physik der Atome „dem Endlichen einen unendlichen Schein“ ganz allgemein. Denn in der als Quantenmechanik bezeichneten Theorie der Mikrowelt geht es weniger um vorgefundene Wirklichkeiten und mehr um ihr Gegenstück, nämlich die auszulösenden Möglichkeiten, und von denen gibt es beliebig viele, wodurch uns die ganze Unendlichkeit des Werdens zur Verfügung steht, die unsere Zukunft so offen macht, wie die Fenster, an denen die Menschen auf romantischen Bildern so gerne stehen, um in die Richtung ihrer Sehnsucht zu schauen. Die Physiker wissen allerdings, dass sie an dem dazugehörigen Ziel nur ankommen, wenn sie es rational planen und systematisch vorgehen. Ohne ihr technisches Gegenstück nützt alle Romantik bei allem Schwärmen nichts, wie wenigstens einmal angemerkt werden sollte.
Wir haben uns die erste Forderung des Novalis bis zuletzt aufgehoben, und ein Grund dafür steckt in dem schwierigen Begriff des Sinns, den die Naturforschung gerne meidet. Sie bemüht sich um kausale und objektive Erklärungen der Dinge und versucht, das Subjekt und seine Bewertungen von ihren Theorien fernzuhalten. Ein Biologe etwa fragt höchstens nach der (evolutionären) Herkunft eines genetischen Moleküls – einer DNA Sequenz – und nicht nach ihrem Sinn. Er versucht natürlich, die Aufgabe oder Funktion der von ihm analysierten Struktur zu erfassen, aber von Sinn spricht man in seinen Kreisen eher weniger, und zwar aus gutem Grund. Für einen Naturforscher macht es erst dann Sinn, über den Sinn zu sprechen, wenn das Ganze bekannt und verstanden ist, dem man seine Aufmerksamkeit widmet. Wer von Sinn spricht, stellt eine Verbindung her zwischen der Sache, um deren Sinn es geht, und der Absicht, sie herzustellen. Das klingt zwar leicht, macht einem Naturwissenschaftler aber Sorgen, weil er nicht sicher ist, die Sache so ganz und gut zu kennen, wie es sein sollte.
Man kann aber immer einmal annehmen, dass dies gelungen ist, zum Beispiel, wenn man als Historiker die Wissenschaft selbst betrachtet und dabei nicht nur ihre Leistungsfähigkeit, sondern auch ihren Sinn erkennt. Die Naturwissenschaften sind in ihrer modernen Form im 17. Jahrhundert aufgekommen, und die Absicht ihrer Vertreter bestand darin, die Lebensbedingungen der menschlichen Existenz zu erleichtern. So lässt Brecht es seinen Helden im „Leben des Galilei“ sagen, und so dachten viele der damaligen Wegbereiter der Wissenschaft von Francis Bacon über Johannes Kepler bis zu René Descartes. Konkret beschäftigt waren die Herren mit gemeinen Dingen – Glas schleifen, Erbsen zählen, Berechnungen anstellen, Volumen messen, Entfernungen bestimmen –, tatsächlich geschaffen haben sie etwas Sinnvolles, nämlich die westliche Wissenschaft, die Europa auf seinen Sonderweg zum Wohlstand gebracht hat, den wir gerne geniessen, ohne an den Mohren zu denken, dem wir ihn verdanken.
Wir können übrigens weite Teile der Geschichte der Naturwissenschaft insgesamt als ein Vorgehen deuten, bei dem es gelingt, „dem Gemeinen einen hohen Sinn“ zu geben, indem wir anmerken, dass Forschen zu einem grossen Teil darin besteht, Daten zu sammeln und Messungen vorzunehmen, die anschließend in einem theoretischen Rahmen ihre Bedeutung bekommen und ein als sinnvoll erlebtes Weltbild liefern. Das Beobachten von Tieren und Pflanzen und die Auflistung ihrer geographischen Verteilung haben zum Gedanken der Evolution geführt, ohne den die Wissenschaft vom Leben keinen Sinn macht. Und die Analyse des Lichtes, das Elemente (Gegenstände) aussenden, hat zu einem Verständnis von Atomen geführt, das dem ganzen Tun der Physiker eine neue Richtung – einen neuen Sinn – gab. Das Sammeln der Daten führt offenbar in der Wissenschaft immer wieder zu einem hohen Sinn.
Wie sich nämlich im Anschluss an Einstein herausstellte, gibt es die Bahn eines Elektrons in einem Atom in der physikalischen Wirklichkeit („da draussen“) überhaupt nicht. Vielmehr existierte sie nur im Kopf der Physiker („da drinnen“). Die Bahn eines Elektrons entsteht erst dadurch, dass sie jemand sie beschreibt, wie zuerst Werner Heisenberg zu schreiben riskiert hat, und zwar 1925. Seitdem bekommen die Gegebenheiten auf der atomaren Bühne – man darf nicht mehr von „Gegenständen“ sprechen, und man scheut sich, „Mitspieler“ zu sagen – ihre Qualitäten erst durch einen Beobachter bzw. durch den Vorgang der Beobachtung. Das agierende Subjekt findet vor allem, wonach es gefragt hat, und so steckt in der Physik der Atome genau das, was bereits in dem Distichon vom Mai 1798 zu lesen ist, das Novalis im Rahmen der Vorarbeiten zu den „Lehrlingen zu Sais“ geschrieben hat und in dem er die bekannte Hebung des Schleiers nicht im Tod enden lässt:
„Einem gelang es – er hob den Schleyer der Göttin zu Sais –
Aber was sah er? er sah – Wunder des Wunders – Sich selbst.“
Es muss für Physiker, die am Anfang des 20. Jahrhunderts die Quantentheorie entworfen haben, ein wundersames Erlebnis gewesen sein, als sie merkten, dass sie zwar immer tiefer in die Atome – und damit in das Innere der Welt – eindringen konnten, dass sie bei dieser Reise Welt aber nicht mehr auf objektive Gegebenheiten oder mathematische Strukturen trafen, sondern auf sich selbst, auf ihre eigene Geschichte. Sie machten die Erfahrung, die Novalis in der Antwort auf die Frage, „Wo gehen wir denn hin?“ gegeben hat: „Immer nach Hause.“
Mit diesen Erfahrungen fällt es schwer, nicht an Novalis Roman „Heinrich von Ofterdingen“ zu denken, und zwar an die Stelle, an der sich Heinrich einem Bergmann anvertraut und ihm in eine Höhle folgt. Im Inneren dieser konkreten Welt treffen die Suchenden und Erkundenden – wie die Quantenmechaniker – auf keine abstrakte Leere, sondern auf eine persönliche Fülle. Konkret treffen sie einen Einsiedler, der ein Buch bei sich hat, „das in einer fremden Sprache geschrieben war“. Als Heinrich sich das Buch und seine Bilder näher anschaut, „entdeckte er seine eigene Gestalt ziemlich kenntlich unter den Figuren. Er erschrack und glaubte zu träumen, aber beym wiederhohlten Ansehn konnte er nicht mehr an der vollkommenen Ähnlichkeit zweifeln.“
Es scheint, dass an dieser Stelle die Quantenmechanik ihre poetische Form gefunden – mehr als zweihundert Jahre, bevor sie eine mathematische Fassung erhielt, von der im übrigen anzumerken ist, dass sie ohne imaginäre Dimensionen (im mathematischen Sinne) nicht auskommt. Die Realität lässt sich nur unter einem imaginären Blickwinkel erfassen – eine Einsicht, die ausserhalb der Physik nur wenig bedacht und genutzt wird.
Wer allgemeiner verstehen will, wie Romantik und Wissenschaft zusammenhängen, ist gut beraten, auf die Darstellung zurückzugreifen, die Isaiah Berlin dieser Epoche unserer Kultur gegeben hat („Die Wurzeln der Romantik“). Berlin geht es in seinen Schriften weniger um naturwissenschaftliche, und mehr um ethische Fragen. Entscheidend ist für ihn, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts die traditionelle Überzeugung aufgegeben wurde, der zufolge man – etwa mit den Mitteln der Ethik – herausfinden kann, was die menschliche Natur ist, um ihr anschliessend – mit den Mitteln der Politik – Rechnung zu tragen. Es war genau die Zeit der Romantik, in der einige Intellektuelle die entscheidende Umkehrung im Denken vollzogen, die zu der korrekten Ausgangsposition führt, dass Fragen nach dem rechten Handeln ohne eindeutige Antwort bleiben können und es weder objektive noch subjektive Gründe für entsprechende Entscheidungen gibt. Die Romantiker erkannten, dass sich sittliche Werte widersprechen können, ohne dass dabei Alternativen zu erkennen wären, und genau diesen Schritt haben die Physiker zweihundert Jahre später in der Sphäre ihrer Zuständigkeit vollzogen, als sie zum Beispiel erkannten, dass Fragen nach der Natur des Lichts ohne eindeutige Antwort bleiben können.
Zu den Geburtshelfern der von Berlin skizzierten romantischen Wende gehört Immanuel Kant, der in seinen Schriften fragte, was der Mensch tun soll und ihm die Freiheit der Wahl gibt. Kant machte den Menschen auf diese Weise zum Urheber seiner Wertvorstellungen. Bei ihm ist ein Wert etwas, das sich ein Mensch gezielt vorgibt, und nicht etwas, über das er zufällig stolpert. Wertvorstellungen sind keine Naturprodukte, die eine Wissenschaft – etwa die Ethik oder die Soziologie – studieren könnte, sondern Ausdruck freien Handelns und damit des menschlichen Schöpfertums.
Diesen letzten Schluss hat aber nicht Kant gezogen, sondern erst die Denker der Romantik. Ihre philosophischen Vertreter erhoben die Sittlichkeit zum schöpferischen Vorgang, und sie orientierten sich bei diesen Vorgehen am Modell der Kunst. Kreatives Tun – Schöpfung – ist in den Augen der Romantik die durchgängig selbstbestimmte Aktivität des Menschen. Hierbei gelingt ihm die Selbstbefreiung von den kausalen Gesetzen der Physik und den Mechanismen der äusseren Welt. Indem die Romantiker den Blick auf die Kunst richteten und das Wesen des Menschen in seiner selbstbestimmten Tätigkeit sahen, zerstörten sie die alten Werte der europäischen Sittlichkeit. Wir sind nicht dadurch wir selber, dass wir logisch agieren oder uns der Natur fügen. Wir sind erst dann wir selber, wenn wir etwas kreieren. Die Natur ist – in diesem Modell – nicht mehr Mutter oder Gebieterin, sondern das Gegenstück zum menschlichen Tun und Denken. Natur ist das, dem wir unseren Willen aufzwingen können. Sie ist der Gegenstand, den wir formen, dem wir eine Form verleihen können.
Genau diesen Schritt konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Quantenphysiker tun, wie oben erwähnt worden ist. Die Beobachter geben einem Elektron die Bahn, auf der es sich bewegen kann. Sie berechnen (formen) seinen Weg und entwerfen auf diese Weise die Gestalt eines Atoms und dann die aller Elemente, die das Periodische System ausmachen. Die Wissenschaftler bestimmen sogar deren Bindung und damit den Zusammenhang der Welt. Sie entwerfen die Natur, die sie selbst sind. Wir sind natura naturata (geschaffene Natur) und natura naturas (schaffende Natur) in einem, ganz so, wie es den Denkern der Romantik vertraut war. Wer romantisch denken möchte, kann es in der modernen Wissenschaft lernen. Wir sollten uns ihr allein deswegen öffnen. Dann kommen wir zu uns selbst.