Die uns vertraute Lebenswelt, die wir alle mit unseren Erfahrungen und Problemen bewohnen, ist ohne Wissenschaft nicht mehr denkbar und wird zunehmend von ihr dominiert. Dies macht schon der Gang in eine Apotheke, der Straßenlärm, der Flug in den Urlaub oder die Nutzung der vielfältigen Internetangebote deutlich. Aber müssen wir denn die moderne Welt verstehen? Hierauf antwortete Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß auf den Auricher Wissenschaftstagen im letzten Jahr: „Eine Welt, die sich selbst nicht mehr versteht, ist keine rationale Welt mehr … Sie wäre eine Welt, die in einen Zustand zurückkehrt, den sie mit der mythischen Welt teilen würde.“2)
Wollen wir auch künftig unsere Lebenswelt als mündige Bürger nach ethischen Grundsätzen selbstbestimmt gestalten, müssen wir mit einem angemessenen Verständnis naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse und Methoden an einem öffentlichen Dialog teilnehmen können, in dem sowohl natur- als auch geisteswissenschaftliche Positionen berücksichtigt und gesamtgesellschaftlich bewertet werden. Diesem Dialog kommt in der Wissenschaftskommunikation eine besondere Bedeutung zu, da alte Konzepte in der Tradition der Popularisierung des 19. Jahrhunderts, als Wissenschaft noch über ein Wahrheitsmonopol verfügte, nicht mehr tragen.
Wissen ist die strategische Ressource der postindustriellen Gesellschaft. Schon heute hat es dem Kapital in weiten Bereichen den Rang abgelaufen, wie man z. B. der Entwicklung des Aktienmarktes entnehmen kann. Somit wird schon aus ökonomischen Gründen das Tempo, mit dem Wissenschaft unsere vertraute Lebenswelt durchdringen wird, ein für uns heute schwer vorstellbares Ausmaß annehmen. Bildungswesen und Forschung werden zum dominierenden ökonomischen Sektor der Zukunft.
Um den Bildungsauftrag zeitgemäß erfüllen zu können, wird sich das Verständnis von Schule wandeln. Moderne Gesellschaften werden zunehmend zu lernenden Gesellschaften, die einen glaubwürdigen Dialog zwischen Schule, Forschung, die sich als Teil unserer Kultur begreift, und Öffentlichkeit benötigen. Dieser Dialog zielt auf eine Stärkung von Eigenverantwortung und Autonomie der Bürgerinnen und Bürger angesichts eines rasanten gesellschaftlichen Wandels.
In Aurich wird dieser Dialog seit zehn Jahren schulformübergreifend vom Gymnasium Ulricianum und von den Berufsbildenden Schulen II unter besonderer Akzentuierung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung getragen. Dieser Dialog ist inhaltlich dem Konzept einer dritten Kultur verpflichtet und stellt auf der Ebene der eigenständigen Urteilsfindung eine notwendige komplementäre Ergänzung zur heute geforderten Kompetenz im Umgang mit medial vermittelter Wirklichkeit dar. Er gewinnt seine Überzeugungskraft durch das in Aurich durchgängig verwirklichte Prinzip der direkten personalen Kommunikation: Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler arbeiten im Rahmen des Stipendiatenprogramms in der Regel mehrere Wochen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Forschungszentren zusammen und berichten in Aurich öffentlich darüber. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden im Rahmen des Referentenprogramms zu öffentlichen Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern nach Aurich eingeladen.
Dem Öffnungsgedanken von Schule entsprechend, ist dieser Dialog als integrierter lokaler Ansatz konzipiert. Lokale Institutionen (z. B. Stadtmarketing, Ärzte- und Anwaltsverein, Kaufmannschaft) sind in das Projekt eingebunden, das durch das Kultursponsering der Kreissparkasse und Spenden Auricher Bürgerinnen und Bürger ausschließlich lokal finanziert wird.
Herbstferien: „Montag Morgen, 7 Uhr: Während die meisten Schülerinnen und Schüler aufstehen … oder sich einfach noch einmal im Bett herumdrehen, steht für einige andere Ungewöhnlicheres auf dem Stundenplan. Lambert Schless (18) zum Beispiel hat um diese Zeit schon seinen weißen Kittel übergestreift: Der Oberstufenschüler begleitet einen Chefarzt bei der morgendlichen Visite. Derweil nimmt Tina Holzhäuser (18) eine künstliche Befruchtung an Zebrafischen vor. Und der 17-jährige Philipp Ronzheimer hilft bei einem Experiment zur Entwicklung neuartiger Solarzellen …
Tina Holzhäuser fühlte sich vor ihrem Praktikumsantritt im Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie etwas überfordert: 'Ich habe geglaubt, dort ginge es sehr steif zu, und ich würde nichts verstehen. Aber das waren junge, lockere Leute, die mir alles erklärt haben.' In der Forschungsgruppe für Zebrafische lernte sie, wie eine Gen-Kartierung zur Erfassung genetischer Entwicklungen erstellt wird.“
Soweit das Zitat aus einer Reportage des Hamburger Abendblatts vom 15./16. Januar 2000 über die Auricher Wissenschaftstage3), um beispielhaft einen Eindruck vom Alltag der Stipendiatinnen und Stipendiaten zu geben.
Dies sind nur drei von inzwischen über 70 Stipendiatinnen und Stipendiaten der gymnasialen Oberstufe des Gymnasiums Ulricianum und des Fachgymnasiums der Berufsbildenden Schulen II in Aurich, die jedes Jahr in den Oster- oder Herbstferien für ein bis drei Wochen miterleben, wie Forschung vor Ort gemacht wird. Ca. 25% aller Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler erhalten bis zum Abitur mindestens einmal die Möglichkeit, den Schulalltag aufzubrechen und in großen Forschungszentren an der Seite von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu forschen und zu experimentieren.
Die Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler befinden sich in der Regel im 12. Jahrgang, wenn sie ein Stipendium wahrnehmen. Oberstufenschülerinnen werden zur freiwilligen Meldung für ein Stipendium besonders ermutigt, da die Förderung von Oberstufenschülerinnen im naturwissenschaftlichen Bereich einen besonderen Schwerpunkt der Auricher Wissenschaftstage darstellt. Mehr als 50% aller Stipendien werden an Oberstufenschülerinnen der beteiligten Schulen vergeben. Diese Akzentsetzung würdigte die damalige Bundestagspräsidentin, Frau Prof. Dr. Rita Süßmuth, in ihrem Festvortrag mit dem Thema „Die Rolle der Frau als Wissenschaftlerin“ bei der Eröffnung der Auricher Wissenschaftstage 1996 in besonderer Weise.
Der Ablauf der Stipendien gliedert sich in vier Phasen:
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten bekommen als Anerkennung für ihre Leistungen Fahrt- und Unterbringungskosten erstattet. Alle weiteren Kosten müssen von ihnen selbst getragen werden. Ferner erhalten sie eine Bescheinigung über ihr Stipendium. Sie fahren in kleinen Gruppen von zwei bis vier Personen zu den verschiedenen Forschungszentren, um eine individuelle Beratung und Förderung gewährleisten zu können. Die beiden Schwerpunkte des auch auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zielenden Stipendiatenprogramms sind die Studien- und Berufsorientierung und die Stärkung der Autonomie der Lernenden.
Das Stipendium dient der begründeten Studien- und Berufsorientierung in der Regel im naturwissenschaftlichen Bereich. Forschung soll vor Ort als Prozess erfahren werden und nicht nur als Ergebnis. In dieser Orientierungsphase werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten individuell von Wissenschaftlern beraten, die an interdisziplinär angelegten und für die Zukunft relevanten Forschungsprojekten arbeiten. Hierdurch erhalten die Stipendiatinnen und Stipendiaten die Chance, in dem sie interessierenden naturwissenschaftlichen Bereich mögliche Ausbildungsgänge und Berufsbilder differenziert wahrzunehmen und für sich zu bewerten. Eine Lehrerin bzw. ein Lehrer besucht die Stipendiatinnen bzw. Stipendiaten während ihres Aufenthaltes in den jeweiligen Forschungszentren, begleitet sie pädagogisch und unterstützt sie beratend während dieser Orientierungsphase. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sowohl begründete Entscheidungen für als auch gegen einen Studiengang bzw. ein Berufsbild als Erfolg eines Stipendiums anzusehen seien. Spätere Enttäuschungen aufgrund falscher Vorstellungen von Studiengängen bzw. Berufsbildern sollen auf diese Weise vermieden werden. Viele Stipendiatinnen und Stipendiaten haben bei ihren Berichten über ihre Aufenthalte in verschiedenen Forschungszentren folgende Aspekte besonders hervorgehoben:
Anstoß für ein Stipendium sind grundsätzlich naturwissenschaftlich und zugleich gesellschaftlich, philosophisch oder aus religiöser Sicht bedeutsame Fragestellungen, die in der individuellen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler entstehen. Hierbei ist deutlich geworden, dass Schülerinnen und Schüler Wissenschaft in ihrer Lebenswelt fast ausschließlich interdisziplinär erleben. Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie als Lernende ernst genommen werden, wenn ihre authentischen Fragen im Rahmen des Stipendiatenprogramms von der Schule an Forschungszentren abgegeben werden, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit diesen interdisziplinären Fragestellungen in einer ebenfalls authentischen Situation auseinandersetzen können.
Während der Durchführung des gesamten Stipendiums werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten von einer Lehrkraft im Sinne eines „coachings“ prozessorientiert beraten und unterstützt. Zur Stärkung der Handlungskompetenz der Stipendiatinnen und Stipendiaten werden diesen hinsichtlich ihres Aufenthaltes an einem Forschungszentrum, dem Bewerbungsbögen und Wünsche der Stipendiatinnen und Stipendiaten vorliegen, lediglich Adresse und Telefonnummer eines Ansprechpartners im Forschungszentrum und ihre Unterkunft mitgeteilt. Alles weitere regeln die Stipendiatinnen und Stipendiaten untereinander und im Kontakt mit dem Forschungszentrum. Ferner werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten auf die von ihnen eigenverantwortlich wahrzunehmenden Möglichkeiten hingewiesen, auf eigene Kosten das entsprechende Forschungszentrum noch einmal zu besuchen oder in einer Art Patenschaft zwischen dem Forschungszentrum und der Stipendiatin bzw. dem Stipendiaten während des Studiums häufiger an das Forschungszentrum zurückzukehren. Diese Möglichkeiten wurden in der Vergangenheit schon häufiger von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Stipendiatenprogramms genutzt.
Ausgehend vom allgemeinen Bildungsauftrag der Schule soll Bildung in ihren zwei grundlegenden Bedeutungen vermittelt werden. Bildung meint Wissensvermittlung und grundlegende Prozesse selbstständiger Problemlösung, und damit auch Allgemeinbildung. Der prozessuale Aspekt von Bildung umfasst notwendig ein Bewusstsein für die erkenntnisbegrenzende Disziplinarität der Fächer und zielt auf eine rationale Gesamtkultur.
In den zurückliegenden zehn Jahren haben sich inhaltlich sechs Schwerpunkte herausgebildet, zu denen Schülerinnen und Schüler immer wieder Stipendien beantragten und manchmal auch ihre Facharbeiten schrieben:
Auf Wunsch der Schülerinnen und Schüler werden aber auch Stipendien für andere Projekte vergeben. Stipendiatinnen und Stipendiaten gehen dem Verhältnis von moderner Gesellschaft und Gegenwartskunst durch Mitarbeit an Ausstellungen der von Henri Nannen begründeten Kunsthalle in Emden nach.
Interviews mit Personen der Zeitgeschichte werden von Schülerinnen und Schülern zu sie besonders interessierenden Themen durchgeführt. Hierzu gehörten Interviews u. a. mit dem damaligen Bundesbankpräsidenten Dr. Hans Tietmeyer, der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach, dem Vorstandsvorsitzenden des FZ Jülich, Herrn Prof. Dr. Joachim Treusch, Herrn Prof. Dr. Walter Jens, dem Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt und dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Bernhard Jagoda. Diese von Stipendiatengruppen durchgeführten Interviews erschienen in Schülerzeitungen und in der Lokalpresse.
Die hier dargestellte Themenvielfalt spiegelt die Neigungen vieler Schülerinnen und Schüler wider. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die Physik oder Chemie als Leistungsfach wählen, ungefähr doppelt so hoch ist wie in Hamburg.
„Haben Sie schon einmal etwas von Goethe gelesen?“ Was für eine Frage, wird sich jeder denken. Das ist doch selbstverständlich. Aber was ist mit folgender Frage: „Warum kann es ein Perpetuum mobile nicht geben?“ Muss man das wissen, werden sich viele fragen, obwohl das Perpetuum mobile ein uralter Menschheitstraum ist, an dem schon Leonardo da Vinci gearbeitet hat. Dabei ist die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile für die naturwissenschaftliche Kultur, der sogenannten zweiten Kultur, genauso eine Selbstverständlichkeit wie Goethes Werk dies für die geisteswissenschaftliche Kultur darstellt, der sogenannten ersten Kultur.
Seit Jahrzehnten gibt es eine tiefe Kluft und viele Sprach- und Verständnisbarrieren zwischen Vertretern der naturwissenschaftlichen und der geisteswissenschaftlichen Kultur. Angesichts globaler Herausforderungen an menschliche Gesellschaften, die nicht ohne naturwissenschaftliche Forschung, aber auch nicht nur mit ihr bewältigt werden können, ist es geboten, die Kommunikationslücke zwischen den beiden Kulturen zu überbrücken. Ferner berührt naturwissenschaftliche Grundlagenforschung zunehmend Grundfragen menschlicher Existenz in einer Welt, die als immer unübersichtlicher empfunden wird. Könnte dies Gefühl der Unübersichtlichkeit nicht auch seinen Grund in einer Kommunikationslücke zwischen den beiden Kulturen haben? Notwendig ist ein offener, kritischer, ideologiefreier und transdisziplinärer Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, die von C. P. Snow geforderte dritte Kultur.
Die zentralen Herausforderungen auf unserem endlichen Erdball nehmen immer schärfere Konturen an: Globalisierung und demographischer Wandel. Wie sind wirtschaftliches „Nullwachstum“ und gravierende Zunahme der Weltbevölkerung von derzeit 6 auf nahezu 10 Milliarden Menschen in etwa 40 Jahren vereinbar? Wie ist eine Energieversorgung mit weltweiter Nachfrageverdopplung in 25 Jahren sicherzustellen? Wie ist mit Material und Ressourcen bei globaler Nachfrageverdopplung in ebenfalls 25 Jahren umzugehen? Wie sind Information und Kommunikation bei einer Angebotsverdopplung in weniger als 5 Jahren überhaupt noch sinnvoll zu nutzen?
Naturwissenschaftliche Grundlagenforschung beschäftigt sich in ihrem Kern mit Fragen nach dem Ursprung des Universums, der Entstehung des Lebens, den Anfängen des Bewusstseins und letztlich der Suche nach einer großen Theorie, die die Elementarteilchen und das Universum eines nicht mehr fernen Tages verbinden soll. Diese Forschungsergebnisse berühren das menschliche Selbstverständnis und sind in ihrer gesellschaftlichen Tragweite im Rahmen einer dritten Kultur angemessen und konsensorientiert zu bewerten.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend sind zentrale Bildungsziele der gymnasialen Oberstufe wie die Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung und die verantwortliche Mitgestaltung des öffentlichen Lebens im Rahmen einer dritten Kultur zukunftsorientiert zu verwirklichen. Gleiches gilt für Leitziele wissenschaftspropädeutischen Arbeitens, beispielhaft seien hier die Einsicht in den Zusammenhang und das Zusammenwirken von Wissenschaften und das Erkennen von Grenzen wissenschaftlicher Aussagen angeführt. Eine breite und von Sachkenntnis getragene Auseinandersetzung mit Wissenschaft, Technik und ihren Folgen stellt ebenso einen wichtigen Standortfaktor dar.
Auf die Bedeutung der dritten Kultur wies auch der Nobelpreisträger Werner Heisenberg im Vorwort seines Buches „Der Teil und das Ganze“ hin:
„Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Dieser an sich selbstverständliche Sachverhalt gerät leicht in Vergessenheit, und es mag zur Verringerung der oft beklagten Kluft zwischen den beiden Kulturen, der geisteswissenschaftlich-künstlerischen und der technisch-naturwissenschaftlichen, beitragen, wenn man ihn wieder ins Gedächtnis zurückruft … Vielmehr geht es ebensooft um menschliche, philosophische oder politische Probleme, und der Verfasser hofft, daß gerade daran deutlich wird, wie wenig sich die Naturwissenschaft von diesen allgemeineren Fragen trennen läßt.“
Jeweils im November eines Jahres nehmen insgesamt ca. 3.000 Schülerinnen und Schüler und interessierte Bürgerinnen und Bürger an in der Regel 10 Abendveranstaltungen mit Vorträgen und Diskussionen teil. In der Lokalpresse wird jeweils der Zeitpunkt der Kartenausgabe für diese Veranstaltungen bekanntgemacht. Es spricht für die Attraktivität dieser Abendveranstaltungen und für einen breiten Diskussionsbedarf, dass seit Jahren sämtliche Karten spätestens nach 48 Stunden vergriffen sind.
Das Klima dieser Abendveranstaltungen wird von Schülerinnen und Schülern geprägt. Eine Stipendiatengruppe führt in den Themenkreis des Abends ein, indem sie zum thematischen Schwerpunkt Experimente, an denen sie beteiligt war, und ihre Erfahrungen an einem Forschungszentrum in einem kurzen Vortrag darstellt. Sie stellt auch die Referentin bzw. den Referenten vor.
Diese Vorträge und Diskussionen am Abend sind jedoch nur ein Teil des Referentenprogramms. Vielfältige, methodisch und didaktisch reflektierte Dimensionen der personalen Kommunikationssituation zwischen Schülerinnen und Schülern und hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden in Aurich wahrgenommen.
Zwei Lerngruppen erarbeiten mit ihren Kursleiterinnen und Kursleitern eine methodische und didaktische Aspekte berücksichtigende Projektplanung für den Besuch einer Wissenschaftlerin bzw. eines Wissenschaftlers. Eine der beiden Lerngruppen kommt von den Berufsbildenden Schulen II und die andere vom Gymnasium Ulricianum. Die Zusammenarbeit dieser beiden Lerngruppen ist schulformübergreifend angelegt, damit ein möglichst weites Erfahrungsspektrum in die Projektplanung einfließen kann. Die Mitarbeit interessierter außerschulischer Institutionen und Personen ist ausdrücklich erwünscht. Dem Konzept der dritten Kultur als Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaft angemessen, soll eine Lerngruppe mit ihrer Kursleiterin bzw. ihrem Kursleiter bereits in der Planungsphase des Projektes Perspektiven eines Faches des mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeldes C zur Diskussion stellen, die zweite Lerngruppe soll aus der Perspektive eines Faches eines anderen Aufgabenfeldes argumentieren. Diese interdisziplinär angelegte Projektarbeit soll Formen des fachübergreifenden Lernens an beiden beteiligten Schulen fördern. Diese beiden Lerngruppen sind in der Regel eine Klasse des 11. Jahrgangs und ein Kurs. Schülerinnen und Schülern des 11. Jahrgangs dient diese Projektarbeit somit auch als Orientierungshilfe für die Kurswahl im 2. Halbjahr dieses Jahrgangs.
Projektplanung und entsprechende Organisationsstruktur eines Besuchsprogramms wird von den beiden Lerngruppen und den beteiligten Kursleiterinnen und Kursleitern vollkommen eigenverantwortlich durchgeführt. Pädagogische Ideen und Innovationen sind immer willkommen. Viel Freude machen allen Beteiligten gemeinsame Diskussionsrunden, Experimente, Ausflüge und Stadterkundungen, die in Absprache mit der Wissenschaftlerin bzw. dem Wissenschaftler durchgeführt werden.
Zum Vortragsthema der Abendveranstaltung und zum Arbeitsschwerpunkt der Referentin bzw. des Referenten bibliographieren die beiden Lerngruppen in Zusammenarbeit mit einer örtlichen Buchhandlung aktuelle Literatur. Besucher der Abendveranstaltung, die sich weitergehend mit einem Thema beschäftigen wollen, werden diese Bücher und Aufsätze zum Kauf angeboten. Ferner erstellen die beiden Lerngruppen einen Handzettel mit Informationen, der am Abend an alle Besucher verteilt wird.
Alle Abendveranstaltungen der Auricher Wissenschaftstage werden in der Lokalpresse auf vier Sonderseiten vorgestellt. Die Artikel werden von den Schülerinnen und Schülern aus den jeweils beteiligten Lerngruppen verfasst. Auch das Layout der Seiten wird von den Schülerinnen und Schülern in Abstimmung mit Redaktionsmitgliedern festgelegt.
Viele renommierte Referenten konnten bisher für eine Mitwirkung an den Auricher Wissenschaftstagen gewonnen werden, z. B. der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Herr Prof. Dr. Alfred Grosser, die Nobelpreisträger für Medizin und Physik, Frau Prof. Dr. Nüsslein-Volhard, Herr Prof. Dr. Bednorz, Herr Prof. Dr. von Klitzing und Herr Prof. Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker, der in einem Brief „Begegnung mit Lise Meitner" aus der Sicht eines Zeitzeugen die Entdeckung der Kernspaltung darstellte.
Das Referentenprogramm ist inzwischen in die langfristig angelegte methodische und didaktische Unterrichtsplanung vieler Lerngruppen integriert worden, und hat auch Anregungen zur Erstellung von einigen Abiturvorschlägen gegeben.
Jedes Jahr wird ein thematischer Schwerpunkt des Referentenprogramms ausgewählt, zu dem eine wissenschaftshistorisch orientierte Ausstellung präsentiert wird, die eine vertiefende Auseinandersetzung ermöglichen soll. Bisher gab es beispielsweise Ausstellungen zur Geschichte der Pressefreiheit, zu Lise Meitner – Leben und Werk einer Atomphysikerin, zur vergessenen Rolle der Frauen in der Naturwissenschaft oder zur Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur. Die Ausstellungen werden kompetent vorgestellt, z. B. bei der Lise-Meitner-Ausstellung mit Führungen und Referaten in Kursen und Klassen durch Schülerinnen und Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Böblingen oder durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gauck-Behörde.
Die Auricher Wissenschaftstage, von zwei Schulen veranstaltet, sind mit regionalen und lokalen Strukturen eng verbunden. Es gibt u. a. eine Zusammenarbeit mit dem Stadtmarketing, dem Schul- und Kulturausschuss, den für das Kulturprogramm zuständigen Behörden der Stadt und des Landkreises, dem Ärzte- und Anwaltsverein und mittelständischen Unternehmern.
Finanziert werden die Auricher Wissenschaftstage durch das Kultursponsering der örtlichen Kreissparkasse, einen gemeinnützigen Förderverein und Spenden. So kommt ein Teil des Erlöses der Weihnachtslotterie, den die Kaufmannschaft auf dem Marktplatz veranstaltet, dem Stipendiatenprogramm zugute.
Die Auricher Wissenschaftstage repräsentieren einen lokal orientierten Ansatz im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Dies hat den Vorzug, dass auch lokale Probleme im Rahmen dieses Projektes öffentlich in einem angemessenen wissenschaftlichen Kontext diskutiert werden können.4)
Reaktion eines Workshop-Teilnehmers auf die Vorstellung der Auricher Wissenschaftstage
Siehe den Vortrag „Wissenschaft verstehen".
Siehe den Artikel „Wir können auch anders".
Weitere Informationen zu den Auricher Wissenschaftstagen:
Claudia Eberhard-Metzger, Petra Folkerts (Hrsgg.): „Zielgruppe Lehrer/Schüler – Ein Dialog zwischen Schule und Forschung“, Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Hamburg, 1999
Barbara Bachtler, Heinz-Jörg Haury, Franz Ossing, Thomas Robertson (Hrsgg.):
„Neue Wege in der Wissenschaftskommunikation“,
Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), Bonn 2000
(Dieser Titel ist auf einem Server des Hahn-Meitner-Instituts als pdf-Datei verfügbar.)