Lenaufer Bäume wurden vom Eisgang des letzten Winters wie Streichhölzer geknickt
08:00 Uhr Aufstehen, 09:00 Uhr Frühstücken mit Tagesbesprechung, 10:00 Uhr Abmarsch - dieser Rhythmus wird unsere nächsten Wochen bestimmen. Heute liegen über 25 Kilometer Fußmarsch zusammen mit jakutischen Schülerinnen und Schülern und ihrer Lehrerin vor uns. Wir werden durch die Taiga marschieren bis zu einem Dünengürtel an der Lena, den Tukulany.
Frau Prof. Dr. Gogoleva erläutert uns Besonderheiten der Taiga. Bei ca. 200 Millimetern Niederschlag im Jahr müsste eigentlich eine Wüste entstehen. Stattdessen bildetet sich hier jedoch die Taiga, die – im Gegensatz zu europäischen Wäldern – zum Versteckenspielen nicht geeignet ist. Der Permafrost verhindert das Versickern des Wassers. Da die Baumwurzeln wegen des Permafrostes sehr flach verlaufen, stehen die Bäume weit auseinander.
Dünenlandschaft am Lenaufer
Lichtorientierung und Nährstoffmangel der Bäume führen zu einer Betonung des Höhenwachstums mit einer Konzentration der Blätter in der Baumkrone. Darunter gibt es wegen der großen Trockenheit kaum Blätter. In dem Bereich, in dem wir marschieren, haben wir also vereinzelt stehende dünne Stämme, die im unteren Bereich kaum Blätter tragen. Man kann weit in die Taiga hineinblicken. Es scheint schwierig, sich hier zu verstecken. Dass es irgendwie doch funktionieren muss, bemerken wir etwas später.
Wir entdecken häufiger Kot von Elchen und Bären, können jedoch keines dieser Tiere irgendwo entdecken. Manche von uns sehen sich etwas häufiger um als gewöhnlich, seit klar ist, mit welchen großen Tieren wir gemeinsam in diesem Taigagebiet sind. Taiga verbindet man gewöhnlich mit riesigen Beständen an Birken, Lärchen oder Kiefern. Definiert wird die Taiga jedoch durch eine unscheinbare, vereinzelt stehende grasähnliche Pflanze, die Limnas stelleri.
Eine Düne wird untersucht
Vor uns schimmert es gelblich durch die Bäume, da wir uns dem Dünengürtel an der Lena nähern. Bei uns Ostfriesen löst der Anblick dieser Sanddünen leichte Heimatgefühle aus, obwohl die ostfriesischen Dünen kaum halb so groß sind. Wir klettern auf eine über 40 Meter hohe Sanddüne und haben von hier eine wunderbare Aussicht über die Lena. Die Sonne scheint warm auf den Dünensand, auf dem nur vereinzelt Pflanzen oder Bäume wachsen. Unter uns soll sich Permafrost befinden. Nach der Theorie dringt das Regenwasser von oben ca. 50 Zentimeter in die Düne ein. Im Sommer taut die Oberfläche des Permafrostes und die Feuchtigkeit des Tauwassers durchdringt eine Schicht von ca. 50 Zentimeter oberhalb des Permafrostes.
Dazwischen soll eine Trockenzone von ein bis zwei Metern liegen, d. h. an unserer Stelle ist mit dem Permafrostboden in einer Tiefe von zwei bis drei Metern zu rechnen. Wir greifen zu unserem Spaten und beginnen mit dem Bodenaufschluss. Reihum muss jeder von uns graben. Zur Tiefenmessung haben wir einen Stock alle 10 Zentimeter markiert. Wir passieren die Zwei-Meter-Marke. Matthias gräbt inzwischen mit dem Stahlbecher von Herrn Stracke weiter, da das Loch zum Graben mit dem Spaten zu eng geworden ist.
Wir graben nach Permafrost
Erste Erfolgsmeldung von Matthias. Die Erde ist so kalt, dass der Becher beschlägt. Erst auf 2,75 Metern erreichen wir den Permafrostboden. Hier geht es nicht mehr weiter. Und wie sieht so ein Permafrostboden aus? Er sieht aus wie ein gegossenes Betonfundament, grau, hart und glatt an der Oberfläche. Alle wollen den Permafrostboden einmal anfassen. Hält man seinen Daumen lange auf eine Stelle gedrückt, so taut der Permafrost etwas weg und es bleiben einige Wassertropfen übrig, die kurz darauf wieder festfrieren.
Nun untersuchen wir die Schichtungen der Erde. In der gesamten Länge von 2,75 Metern ist unser Bodenaufschluss durchnässt. Das Wasser des getauten Permafrostes und das Regenwasser haben sich vermischt. Eine Trockenzone ist hier – im Gegensatz zur Theorie – nicht vorhanden. Wir denken an die Schlammpisten auf unserer Hinfahrt und äußern die Hypothese, das dies mit den besonders starken Regenfällen dieses Jahres zusammenhängen könnte.
Frau Prof. Dr. Gogoleva teilt unsere Meinung. In einer Tiefe von 10 Zentimetern entdecken wir eine dünne schwarze Schicht. Hier vermuten wir, dass diese Schicht auf einen Dünen-Brand hindeuten könnte. Dies deckt sich mit unseren Beobachtungen während des Marsches durch die Taiga. An vielen Stellen sahen wir angebrannte Bäume. Trockenheit, Blitzschlag und Brände scheinen die jakutischen Wälder viel stärker zu prägen, als wir es aus Deutschland gewohnt sind. Unsere jakutischen Mitschüler meinen, der Wald in Jakutien brenne alle 100 Jahre einmal ab.
Prof. Dr. Gogoleva hält eine Permafrost-Vorlesung in der Taiga
Wir schütten das Loch wieder zu und suchen eine windgeschützte Stelle an der Lena aus. Karsten und Alexander holen Wasser aus der Lena, Matthias und Bastian machen Feuer und kurz darauf gibt es Tee mit Brot. Nach einer kleinen Ruhepause machen wir uns wieder auf den Rückweg. Wir machen mit den jakutischen Schülerinnen und Schülern ein kleines Experiment zur Zerstörung der Taiga durch den Menschen. Dazu ziehen wir eine Linie und gehen daran entlang. Das Ergebnis: Zehn Personen müssen zehn Mal über die gleiche Stelle gehen und schon hat man einen deutlich erkennbaren Trampelpfad.
Unserer Meinung nach haben in diesem Gebiet einmal Mammuts gelebt. Für unsere Suche nach Mammutknochen haben wir uns unter anderem dieses Gebiet am Zusammenfluss von Lena und Buotama ausgesucht. Da die Lena im Winter nicht bis zum Boden durchfriert, gibt es unter der Lena keinen Permafrost. Von unseren jakutischen Mitschülern erfahren wir folgende Faustregel: Der Permafrostboden unter einem Fluss taut circa zur Hälfte der Fluss-Breite nach unten hin auf. Da die Lena hier um die sechs Kilometer breit ist, müsste sie also unter sich drei Kilometer Permafrostboden auftauen. Da der Permafrostboden hier aber nur 400 Meter dick ist, gibt es unter der Lena keinen Permafrost.
Nach wenigen Metern, an den Ufern der Lena, beginnt der Permafrostboden wieder. Dies können wir nach unserem Bodenaufschluss an der Lena bestätigen. In diesem Permafrostboden liegen noch viele Mammuts - tiefgefroren. Da die Steilufer von Lena und Buotama immer weiter auftauen und abbrechen, könnten hier Mammutskelette freigelegt werden. Soweit unsere Überlegungen. Auf unsere Fragen bestätigten uns unsere jakutischen Mitschüler, dass an diesen Steilhängen schon viele Teile von Mammutskeletten gefunden wurden. Sie wollen uns in den nächsten Tagen einige Stoßzähne und Mammutknochen vorstellen.