Es ist unser erster Tag in Jakutsk und schon der erste Termin. Gegen Mittag hat uns Frau Professorin Dr. Gogoleva zu einem Vortrag über geoökologische Besonderheiten Jakutiens in die Staatsuniversität eingeladen: Permafrostboden, Eiskeile, geringe Niederschlagsmenge (ca. 200 mm/Jahr), hohe potenzielle Verdunstung (ca. 1600 mm/Jahr) stehen im Mittelpunkt ihres Diavortrages. Danach fahren wir mit dem Bus gen Norden, an die Lena, um die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten auf die konkrete Feldforschung anzuwenden. Die Busfahrt kostet sieben Rubel (ca. 20 Cent) für jeden, egal wie weit man fährt. Für uns erstaunlich, dass fast alle Passagiere erst beim Aussteigen bezahlen. Sie legen dem Fahrer sieben Rubel hin und steigen aus, auch wenn der Fahrer gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist. Wäre eine solche Ehrlichkeit auch bei uns in Deutschland möglich? Wir hegen da gewisse Zweifel.
Die Analyse verschiedener Pflanzengesellschaften steht im Mittelpunkt unserer Exkursion. Und wie verständigen wir uns? Im Wesentlichen durch Latein. Da alle Pflanzen weltweit denselben lateinischen Namen haben, schwirren im Pinienwäldchen bei über 35°C lateinische Gattungs- und Artnamen mal mit russischem, mal mit deutschem Akzent gesprochen – durch die Luft. Eine Pflanzengesellschaft löste regelrecht heimatliche Gefühle bei uns aus. Sie ähnelte sehr einer ostfriesischen Salzwiese. Doch wie kam diese Salzwiese nach Jakutien?
Dies hängt mit einer der vielen landestypischen Besonderheiten zusammen, die uns letztlich zu dieser Expedition aufbrechen ließ: Regenwasser kann nur ca. einen bis zwei Meter tief in den Boden eindringen. Dann trifft es auf den Permafrostboden. Wird der Boden noch verdichtet, z. B. als Pfad für Pferdeherden, dann entstehen Kapillaren mit sehr geringem Querschnitt und großer Kraft. Die Kapillaren führen das Wasser wieder an die Oberfläche, es verdunstet und Salze werden abgelagert. So wird dieser Standort immer salziger und die Standortbedingungen einer ostfriesischen Salzwiese immer vergleichbarer. Der Boden um diese Pflanzengesellschaft ist von einer Salzkruste überzogen. Im Selbstversuch testen wir den Geschmack der weißen Kruste und tatsächlich, es ist Salz. Wir finden unter anderem auch den Queller, das Milchkraut und die Salzbinse.
Auf der Mammutsteppe gibt es Salzwiesen, die denen in unserer Heimat sehr ähneln
Als nächstes kartieren wir Rudimente einer sogenannten Mammutsteppe. Wir haben unser Herbar im Rucksack und können die Pflanzen sofort pressen. Auch die Überreste der Mammutsteppe in Jakutien sind eine Besonderheit. Während der letzten Eiszeit vergletscherten große Teile Europas und zerstörten die Vegetation. In Jakutien fand wegen der geringen Niederschlagsmenge keine Vergletscherung statt und die Mammutsteppe blieb weitgehend erhalten.
Prof. Dr. Gogoleva erläutert die Bedeutung eines typischen jakutischen Pfahls, er hat einerseits kultische Bedeutung und diente aber auch zum Anbinden von Pferden
Wir stapfen durch die Mammutsteppe und klettern einen 300 Meter hohen Schamanenberg hinauf. Hier trafen sich die Schamanen, um zu beraten und dem Himmel nahe zu sein. Frau Prof. Dr. Gogoleva gibt jedem von uns einen kleinen ovalen „Pfannkuchen“, den wir in drei Teile brechen sollen. Ein Akt, der in der Vorstellung der Schamanen die Dreiteilung der Welt symbolisiert, in die böse Sphäre, die Sphäre, in der die Menschen leben und in die gute Sphäre, den Himmel. Wir legen die drei Stückchen auf den Boden und bitten um ein gutes Gelingen für unsere Expedition.
Wir machen ein Picknick auf dem Schamanenberg, Prof. Dr. Gogoleva schenkt Kumys aus
Jeder von uns bekommt dann einen kleinen Fetzen aus Stoff, in den er seine Wünsche sprechen kann. Am Rande des Schamanenbergs verknoten wir unsere Stoffreste in kleinen Bäumen, durch die der Wind weht. Er wird Wünsche mit zum Himmel nehmen. Wir stellen uns im Kreis auf, Plastikbecher werden verteilt, und Frau Prof. Dr. Gogoleva schenkt an jeden von Kumys aus einer großen Plastikflasche, das traditionelle Getränk der Jakuten.
Wir binden Stofffetzen mit unseren Wünschen an den Baum. Der Wind wird sie in den Himmel tragen
Kumys ist vergorene Stutenmilch und perlt leicht. Maren meint, es schmeckt wie eine Mischung aus Prosecco und Molke. Beim Abstieg vom Berg nehmen wir eine sportliche Abkürzung, einen ca. 80 m tiefen Steilhang.
Zurück in Jakutsk, im Internet der Universität, wundern wir uns über das scheinbar einträchtige Nebeneinander von wissenschaftlicher Lebenswelt, traditioneller Lebensweise und dem Schamanismus hier in Jakutien.