Logo der Berufsbildenden Schulen 2 Aurich

Auricher Wissenschaftstage –
Forum einer dritten Kultur

Logo des Ulricianums

Rede
des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport,
Herrn Boris Pistorius,
zur RAF im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage
(am 09.02.15 in Aurich)

[Es gilt das gesprochene Wort!]

Sehr geehrter Herr Weber,
sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Buback,
sehr geehrte Damen und Herren!

Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, das immer noch – und zu Recht – viele Menschen in unserem Land bewegt: dem Linksterrorismus der RAF und seinen Folgen.

Ob Andreas Baader, Brigitte Mohnhaupt oder Wolfgang Grams – über knapp drei Jahrzehnte haben verschiedene Generationen der Rote-Armee-Fraktion mit ihren Terrorakten Deutschland erschüttert. Die RAF vernichtete Menschenleben und zerstörte unschuldige Familien. Und alles, um ihre verquere, dogmatische Vision einer vermeintlichen besseren, gerechteren Gesellschaftsordnung durchzusetzen. Die Angehörigen der Opfer leiden bis heute unter den schrecklichen Taten.

Und sie versuchen zu verstehen, wieso ihre Eltern, Großeltern oder Geschwister sterben mussten. Wie konnte sich ein Teil der linken politischen Bewegung zu einer solch terroristischen Gruppe entwickeln, die auch vor dem Tod Unschuldiger keinen Halt gemacht hat?

Doch rationale, nachvollziehbare Erklärungen kann es für den Terror der Roten Armee Fraktion nicht geben. Daher möchte ich an dieser Stelle zunächst einen Rückblick auf Zusammenhänge und den Verlauf der RAF-Zeit geben.

Die Wurzeln des deutschen Linksterrorismus liegen in den ausgehenden 1960er Jahren.

Im fernen Osten tobte der Vietnamkrieg. In Berlin war im Juni 1967 Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs erschossen worden. Spätestens nach dem Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 begannen sich die gewaltbereiten Teile der Außerparlamentarischen Opposition zunehmend zu radikalisieren. Der bewaffnete Kampf nach dem Konzept der Stadtguerilla wurde propagiert – in Anlehnung an lateinamerikanische Revolutionäre.

Methoden des Untergrundkampfes gegen Militärdiktaturen sollten auf westliche Industriemetropolen übertragen werden, um den angestrebten Umsturz in der Bundesrepublik auch ohne Rückhalt in der Bevölkerung zu erzwingen.

Anrede,

die Gewalt begann am 2. April 1968 mit zwei Brandsätzen in einem Frankfurter Kaufhaus. Und mündete am 14. Mai 1970 mit der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders in die Geburtsstunde der 1. Generation der „Roten Armee Fraktion“ (RAF). Unter dieser Bezeichnung verübten ihre Protagonisten von da an eine Reihe von Anschlägen gegen deutsche und amerikanische Einrichtungen. Zahlreiche Menschen mussten das mit ihrem Leben bezahlen.

Nachdem es der Polizei gelungen war, ihre Gründungsmitglieder festzunehmen, versuchte eine 2. Generation der RAF diese durch Geiselnahmen freizupressen. Diese Konfrontation gipfelte schließlich in die sogenannte Offensive ’77, besser bekannt als der „Deutsche Herbst“.

So wurde am 7. April 1977 in Karlsruhe der Generalbundesanwalt Siegfried Buback von einem „Kommando Ulrike Meinhof“ von einem Motorrad aus erschossen. Zusammen mit ihm starben sein Fahrer Wolfgang Gröbel und der Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, Georg Wurster.

Auf diesen feigen und skrupellosen Mordanschlag folgte im Juli 1977 die Ermordung des Dresdner-Bank-Chefs Jürgen Ponto durch ein Kommando der RAF.

Anfang September 1977 schließlich kam es zur Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Wie schon bei der Ermordung Siegfried Bubacks, so wurde auch bei diesem Verbrechen keine Rücksicht auf Menschenleben genommen. Skrupellos wurden die vier Begleiter Schleyers erschossen.

Kurz darauf entführten palästinensische Terroristen die Lufthansamaschine Landshut mit insgesamt 87 Menschen an Bord ins somalische Mogadischu. Beide Taten dienten einem gemeinsamen Ziel: die inhaftierte 1. Generation der RAF freizupressen. Der GSG 9 gelang es, die Insassen der Lufthansamaschine am 18. Oktober 1977 zu befreien. Daraufhin begingen die führenden Köpfe der RAF im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim Selbstmord. Und Hans Martin Schleyer wurde nach 44-tägiger Geiselhaft ermordet. Ich kann mich gut erinnern, wie diese Ereignisse damals die Bevölkerung in Deutschland in Atem hielten. Der „Deutsche Herbst" ging als Zeit des Schreckens und der Verunsicherung in die Geschichte der Bundesrepublik ein.

In den folgenden Jahren führte nunmehr die 3. Generation der RAF den bewaffneten Kampf fort. Es folgten weitere Bombenanschläge gegen amerikanische Einrichtungen und die Ermordung führender Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft. Erinnert sei an dieser Stelle vor allem an den 1989 ermordeten Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, sowie den 1991 erschossenen Vorsitzenden der Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder. Erst am 20. April 1998 endete der Spuk der Roten Armee Fraktion mit ihrer Selbstauflösung.

Anrede,

ihrem Selbstverständnis nach war die RAF eine kommunistische, antiimperialistische Stadtguerilla nach südamerikanischem Vorbild, ähnlich den Tupamaros in Uruguay. In Wirklichkeit war sie aber nichts anderes als eine terroristische Vereinigung, die sich einen politischen Anstrich gab. Vollständig immun gegenüber Kritik gerierte sich die RAF bis zuletzt als eine Avantgarde, als eine Gruppe von Auserwählten mit alleinigem Erkenntnisanspruch und absoluter Deutungshoheit. Nur so ist zu erklären, dass die RAF keinen Respekt vor dem Leben anderer Menschen hatte und kaltblütig mordete, wenn es ihren Zielen nützlich erschien.

34 Menschen fielen diesem Fanatismus einiger weniger zum Opfer. Manche der Überlebenden und der Angehörigen leiden bis heute unter den physischen und psychischen Folgen dieser schrecklichen Erlebnisse. In einigen Fällen konnte nie geklärt werden, wer tatsächlich die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Auch das ist eine große Belastung für Verwandte und Bekannte der Opfer. Bis heute warten die meisten Angehörigen der Getöteten vergebens auf eine Entschuldigung der Täter.

Und nicht nur das: Die Angehörigen haben auch miterleben müssen, wie die Täter nach Verbüßung ihrer Haftzeit in die Freiheit entlassen wurden. Dass die Täter also nach den Regeln des Rechtsstaates, den sie absurderweise vorher bekämpften, wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Dass Angehörige sich dazu skeptisch äußern, kann ich menschlich nachvollziehen. Aber hier gilt auch ein Prinzip unseres Rechtsstaates, das wichtig ist: Das Recht von Straftätern nach Verbüßung ihrer Haftzeit wieder in die Gesellschaft integriert zu werden. Das Recht auf Resozialisierung.

Anrede,

das Recht auf Kritik, auch grundsätzlicher Art, ist in einem demokratischen Rechtsstaat wie dem unseren unabdingbar. Das darf nicht eingeschränkt und niemanden genommen werden. Nur durch die permanente kritische Auseinandersetzung seiner Bürger mit dem Rechtsstaat – seinen Institutionen und Repräsentanten – kann er seine ganze Kraft entfalten und sich weiterentwickeln.

Doch jeder Protest stößt dort an seine Grenzen, wo er den Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlässt. Wo er in Gewalt umschlägt. Wo unschuldige Menschen sterben. Wer meint, Veränderungen gewaltsam und gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen zu müssen, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. Das sind auch Lehren, die wir aus den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf deutschem Boden gezogen haben.

Mit gutem Grund ist das Prinzip des Rechtsstaates in unserem Grundgesetz verankert. Alles was staatliche Behörden in Deutschland tun, ist an Recht und Gesetz gebunden. Die Institution des Rechtsstaates schützt daher nicht nur den Einzelnen vor staatlicher Willkür, sondern sichert auch unsere staatliche Ordnung. Und eine stabile staatliche Ordnung ist als Schutz vor den Feinden der Verfassung essenziell.

Anrede,

daher bin ich auch besonders froh, sagen zu können: Gegen den Terror der RAF hat sich der deutsche Rechtsstaat erfolgreich gewehrt. Er hat sich nicht, wie Helmut Schmidt es im Herbst 1977 ausdrückte, „von Terroristen erpressen lassen“. Und das ist zweifellos der einzig richtige Weg. Auch wenn das – wie im Falle der Entführung Hanns Martin Schleyers – ein schweres moralisches Dilemma war. Unser demokratischer Rechtsstaat versteht sich als eine wehrhafte Demokratie. Und das in gleichem Maße gegen Links- wie gegen Rechtsextremisten.

Es ist Fakt, dass unser Rechtsstaat immer noch von linksextremistischer Seite bedroht wird. Aber weder davor noch danach hat es eine Gruppierung wie die RAF gegeben, die so zielgerichtet und brutal den westdeutschen Staat herausgefordert hat. Die den Sturz der politischen Ordnung so bedingungslos wollte und dafür den Tod so vieler Menschen wissentlich in Kauf genommen hat.

Sorgen wir dafür, dass die Opfer dieser Verbrechen niemals vergessen werden und sich so etwas niemals wieder in der Geschichte unseres Landes wiederholt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihrer Veranstaltung einen guten und erfolgreichen Verlauf.

Seitenanfang