Artikel in der Ostfriesen-Zeitung vom 20. Februar 2013, S. 17 [1]
Von Stephan Schmidt
Der Physiker Norbert Wermes führte die Zuhörer in der Sparkasse in die Zeit nach dem Urknall. (Fotos: Ortgies)
AURICH - So sehr sich Prof. Dr. Norbert Wermes auch bemühte – ganz ohne mathematische Formeln kam der Physiker nicht aus bei der Beschreibung seines komplexen Themas: Was passierte kurz nach dem Urknall, dem Ursprung des Universums?
Wermes eröffnete mit seinem Vortrag „Mikro- trifft Makrokosmos – das Higgs und andere Physik nahe am Urknall“ am Montagabend in der Sparkasse Aurich-Norden die 23. Auricher Wissenschaftstage. 450 Zuhörer kamen.
Der Bonner Wissenschaftler hat so weit in die Vergangenheit des Weltalls geschaut wie nur wenige. Als Mitarbeiter des Kernforschungsinstituts Cern in Genf experimentierte er mit dem Large Hadron Collider (LHC), einer Art Supermikroskop für Elementarteilchen. Mehr als drei Milliarden Euro hat der Bau gekostet. Im LHC werden Teilchen auf einer rund 26 Kilometer langen unterirdischen Ringbahn beschleunigt und zum Zusammenstoß gebracht. Auf diese Art kann zwar nicht der Ursprungsmoment des Universums nachgestellt werden, aber im winzigen Maßstab die Zeit direkt danach. „Mit dem LHC sind wir eine Größenordnung näher am Urknall“, so Wermes.
Warum beschäftigen die Forscher sich mit solchen theoretischen Fragen überhaupt, fragte Wermes das Publikum und sagte selbst: „Die Antwort ist schlicht und einfach: Neugierde.“
Eine Theatergruppe beschäftigte sich in einer kleinen Aufführung mit dem Sinn der Wissenschaft.
Das Supermikroskop befriedigt die Neugier der Physiker auf besondere Weise. Mit ihm gelang am 4. Juli vergangenen Jahres im Cern eine wissenschaftliche Sensation: Das Higgs-Teilchen wurde nachgewiesen – höchstwahrscheinlich, denn ganz gesichert ist das noch nicht. Damit endete die Jagd nach einem Baustein der Entstehung des Universums aber zumindest vorläufig. Der Name geht auf den Briten Peter Higgs zurück, der in den 1960er Jahren seine Theorie von einem elektrisch neutralen, rasch zerfallenden Teilchen aufstellte. Bewiesen worden war die Theorie nie – bis zum letzten Jahr.
Schnell war die Rede vom „Gottesteilchen“, mit dem die Entstehung des Universums erklärt werden könne. Ein Missverständnis, sagte Wermes. Der Buchautor Leon Ledermann habe vor vielen Jahren von einem „gottverdammten Teilchen“ gesprochen, das einfach nicht zu schnappen gewesen sei. Das „verdammt“ sei weggefallen. Übriggeblieben sei das „Gottesteilchen“.
Zwar lasse sich laut Wermes heute ziemlich genau bestimmen, wie alt das Universum ist, nämlich 13,75 Milliarden Jahre. Doch bei einer Frage musste der Physiker passen: Wie es zum Urknall eigentlich gekommen sei, wollte ein Besucher wissen. „Das weiß ich nicht, das weiß der liebe Gott“, sagte Wermes.
Nur die wenigsten Zuhörer dürften alle Einzelheiten des Vortrags verstanden haben. Etwa wenn es um die „effektive Masse“ von Teilchen ging, wurde es kompliziert. Doch fast alle blieben aufmerksam. Denn faszinierend war der Ausflug in die große Welt der kleinsten Teile und zum Ursprung des Universums allemal.
Schüler der Berufsbildenden Schulen 2 (BBS) und des Ulricianums in Aurich berichteten am Montag von ihren Praktika am Forschungsinstitut Cern in Genf und am Kunsthistorischen Institut in Florenz.
Der nächste Fachvortrag im Rahmen der Wissenschaftstage ist am kommenden Freitag, 22. Februar, um 19.30 Uhr in der Aula der BBS. Die Wissenschaftlerin Sibylle Anderl vom Argelander-Institut für Astronomie Bonn spricht über die „Kunst der modellhaften Welterkenntnis“.
Die Idee für die Wissenschaftstage hatte der heute pensionierte Lehrer Josef Antony. In den vergangenen Jahren konnten zahlreiche Nobelpreisträger nach Aurich gelockt werden. Die professionelle Organisation lobte auch Norbert Wermes.
Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.