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Auricher Wissenschaftstage –
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Artikel der Ostfriesen-Zeitung vom 13. Februar 2012, S. 12 [1]

Hauseigene Apotheke im Kopf wird aktiv

MEDIZIN Vortrag bei Auricher Wissenschaftstagen über Placeboeffekte von Medikamenten

Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient sei die Voraussetzung für diese Selbstheilungskraft – alles reine Psychologie, meinen Dr. Karin Meißner und Dr. Niko Kohls.

Von Maike Plaggenborg

Foto von Dr. Karin Meißner und Dr. Niko Kohls, 19k

Rot, bunt, rund – ein positiver Eindruck kann heilen, sagten Dr. Karin Meißner (links) und Dr. Niko Kohls. (Foto: Ortgies)

AURICH - Tabletten können helfen, auch wenn sie eigentlich keine Wirkstoffe haben: Dann wird die „hauseigene Apotheke im Kopf aktiviert“, sagte Dr. Karin Meißner, Medizinerin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Zusammen mit Dr. Niko Kohls, Gesundheitspsychologe der LMU, hielt sie am Freitag in der BBS Aurich einen Vortrag über Placeboeffekte. Es war die dritte Veranstaltung bei den Auricher Wissenschaftstagen.

Placebos sind Scheinmedikamente, das heißt, sie haben pharmakologisch keine Wirkung. Solche Tabletten bestehen zum Beispiel aus Zucker oder Talg, Spritzen enthalten etwa eine Kochsalzlösung. Meißner grenzt davon die Pseudo-Placebos ab, die zwar eine Wirkung haben (beispielsweise Vitamin C oder homöopathische Mittel), für die Beschwerden des Patienten aber eigentlich wirkungslos sind.

Im Gespräch mit dem Arzt erhält der Patient die Information, dass das verschriebene Medikament gegen seine Beschwerden helfen wird. Der Patient entwickelt dadurch eine Erwartung, die körpereigene Selbstheilungskräfte in Gang bringt. Und das sei wissenschaftlich nachweisbar. „Eingebaut“ seien diese Kräfte, sagte Dr. Niko Kohls. Der Effekt hänge auch von der Dauer des Beratungsgesprächs ab. Heute habe ein Mediziner durchschnittlich acht bis zehn Minuten Zeit pro Patient, und das sei deutlich zu wenig.

„Beim Blick in die Menschheitsgeschichte stellt man fest, dass Menschen schon immer zu Placebo-Effekten fähig waren“, sagt Kohls. Er forscht schwerpunktmäßig zu deren Auslösern und befasst sich dabei unter anderem mit Meditationstechniken. Eine wichtige Rolle bei der Behandlung ist demnach die Selbstwahrnehmung der eigenen Symptome. Ihm geht es darum, Spiritualität – fernab von Religionen – messbar zu machen.

Placeboeffekte kann grundsätzlich jeder Mensch erleben. Unterschiedliche Forschungsergebnisse zeigten aber, dass Optimismus eine günstige Eigenschaft sein kann. Neurotische Menschen dagegen seien eher anfällig für Nocebo-Effekte, sagte Meißner. Dann schlägt die Wirkung in das Gegenteil um, indem Patienten etwa die im Beipackzettel beschriebenen Nebenwirkungen ausbilden.

Wirklich gesicherte Erkenntnisse über Wirkungen und Ausmaß von Placebo-Effekten in der Praxis gebe es bisher kaum, sagte Meißner. Aus Umfragen unter Allgemeinmedizinern wisse sie aber, dass 85 bis 90 Prozent der befragten Ärzte Placebos ab und an verschreiben, nämlich dann, wenn der Arzt glaubt, der Patient möchte unbedingt irgendein Medikament oder eine höhere Schmerzmitteldosis haben. Moralische Bedenken hätten die Ärzte dabei kaum, sagte sie, obwohl der Patient getäuscht werde.

Dabei funktioniere der Placebo-Effekt sogar dann, wenn der Patient über die Gabe eines Scheinmedikaments informiert sei. Es müsse dem Patienten dann jedoch klargemacht werden, dass er ein Medikament bekommt, mit dem zum Beispiel andere Patienten gute Erfahrungen gemacht haben, obwohl es keinen Wirkstoff enthält. Placebo-Effekte wirken außerdem zusammen mit „echten“ Arzneimitteln. Die Wirkung eines Medikaments könne dann verstärkt werden, obwohl es niedrig dosiert sei. Grundsätzlich sei der Forschungsbedarf aber noch hoch. Die Effekte werden seit Mitte der 50er-Jahre erforscht und wurden bei Tests zur Wirksamkeit von Medikamenten entdeckt.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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