Artikel in der Ostfriesen-Zeitung vom 18. Februar 2009, S. 10 [1]
Von Karin Lüppen
Prof. Dr. Thomas Wichert ist begeistert von Physik – und möchte andere davon begeistern. (Bild: Ortgies)
AURICH - Halbleitertechnik, Nanoteilchen, Antimaterie – das sind Begriffe, von deren Bedeutung die meisten Menschen nur eine vage Vorstellung haben. Teilchenkollisionen in einem riesigen unterirdischen Beschleuniger – das klingt sogar nach Science-Fiction. Prof. Dr. Thomas Wichert hält sie nicht nur für alltäglich, weil er auf diesen Gebieten forscht. „Ohne Einsteins Relativitätstheorie würden kein Navigationsgerät funktionieren“, begründet er, warum die Physik auch den Alltag der normalen Menschen bestimmt – selbst wenn sie nicht alles im Detail verstehen.
Trotzdem spricht Wichert gerne vor Schülern und Laien, so wie gestern Abend bei den Auricher Wissenschaftstagen. „Antimaterie – gibt es die?“, hieß sein Thema. Ein Vortrag wie dieser sei eine gute Gelegenheit, junge Leute für die Physik zu begeistern. Nicht jeder würde anschließend ein naturwissenschaftliches Studium beginnen. Aber vielleicht erzähle er anderen von dem Vortrag, die dann mehr darüber wissen wollten. Rund 20 Prozent der Schüler interessierten sich für Naturwissenschaften: „Das ist ein konstanter Wert, der sich kaum verändert“, sagt Wichert.
Wer Naturwissenschaften interessant darstellen wolle, komme an Überraschungseffekten nicht vorbei. Das sieht Wichert gar nicht viel anders als Kollegen des 19. Jahrhunderts, die Elektrizität noch für Showeffekte nutzten. „Damit werden sie noch viele Steuern einnehmen können“, habe der britische Physiker Michael Faraday dem englischen König gesagt, als dieser den Nutzen von Elektrizität angezweifelt habe, erzählt Wichert. Der Wissenschaftler habe Recht behalten.
Deshalb gilt auch für Wichert: Effekte ja, aber „man muss auch ehrlich bleiben“. Das abstrakte Thema Antimatiere stelle er daher auch „zum Anfassen“ vor. Er könne zeigen, wie sich das Signal der Photonen, das Lichtgeschwindigkeit habe, um eine Nanosekunde verändere, wenn man den Detektor um 30 Zentimeter verschiebe, dass es also tatsächlichexakt messbar ist. „Die Leute wollen ein Experiment auf dem Tisch sehen“, ist Wichert überzeugt.
Eine reine Vorstellung mit Bildern könne da nicht mithalten. Dass Naturwissenschaften heute umfangreich im Fernsehen und im Internet dargestellt werden, findet der Professor zwar einerseits erfreulich. Die Berichterstattung über den großen, neuen Teilchenbeschleuniger des europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf, an dem auch Wichert arbeitet, sei jedoch fast erschlagend gewesen. „Da schaltet mancher doch leicht um“, glaubt der Physiker.
Prof. Dr. Thomas Wichert lehrt seit 1989 an der Universität des Saarlandes im Fach „Technische Physik“. In der Forschung beschäftigt er sich mit der nuklearen Festkörperphysik, insbesondere mit Halbleiterverbindungen und nanostrukturierten Materialien. Experimente auf diesen Gebieten werden in Saarbrücken und am Isotopenseparator ISOLDE im Europäischen Labor für Teilchenphysik (CERN) in Genf durchgeführt.
Unter Antimaterie verstehen Physiker Materie, die aus Antiteilchen aufgebaut ist. Antiteilchen unterscheiden sich von normalen Teilchen durch entgegengesetzte Eigenschaften. So trägt das Elektron eine negative Ladung, sein Antiteilchen, das Positron, eine positive. Antimaterie kommt in der Natur nicht vor, kann aber künstlich in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden. Kommen normale Materie und Antimaterie miteinander in Kontakt, werden sie annihiliert, das heißt, sie werden vollständig in Energie umgewandelt.
Bei der Entstehung des Universums müssten Materie und Antimaterie wegen des so genannten Paarprinzips zu exakt den gleichen Teilen entstanden sein. Dies war offensichtlich aber nicht der Fall, sonst würde es heute im Universum überhaupt keine Materie mehr geben. Dieses Ungleichgewicht gehört zu den größten Rätseln der Elementarphysik.
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