Artikel in der Ostfriesen-Zeitung vom 10. September 2004
Von Thordis Goosses
Aurich – Was Alasse oder Pingos sind, steht in keinem Schulbuch. Wer wissen möchte, wie die einzigartige Landschaft im äußersten Nordosten Sibiriens entsteht, muss sich schon selbst auf die lange Reise machen. Das haben sechs Schüler des Gymnasiums Ulricianum und der BBS II in Aurich und ihre drei Lehrer, Alexander Stracke, Wolfgang Völckner und Friedrich Freudenberg, getan (die OZ berichtete). Seit gut zehn Tagen sind sie nun wieder zu Hause: und kommen aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Die Schüler waren Stipendiaten der Auricher Wissenschaftstage.
Stracke spricht von einer „brutalen, physikalischen Geographie“, wenn er versucht, die Landschaft dort zu beschreiben. Die Taiga konnte nämlich nur unter Extrembedingungen entstehen. So eine ist der Permafrost, ein ständiger Bodenfrost. „Manchmal musste ich nur 20 Zentimeter graben, mal bis zu 2,50 Meter, und bin auf Frost gestoßen“, erzählt der 21-jährige Alexander Börries, „und das im Hochsommer“. Extrem sind auch die Temperaturen übers Jahr: von 35 Grad über bis zu 55 Grad unter null. Jakutien hat damit die größten Temperaturschwankungen weltweit. „Von der Niederschlagsmenge hätten wir dort eigentlich eine Halbwüste, so trocken ist es“, sagt Lehrer Stracke. „Doch durch den Permafrost kommt das Wasser an den Baumwurzeln zweimal vorbei.“ Heißt: Regen kann im gefrorenen Boden nicht abfließen, sondern verdunstet bei Erwärmung. Nur deshalb konnten da Bäume wachsen, die Taiga entstehen. Und zwischen den Bäumen der Taiga gibt es die so genannten baumlosen Alassen […], die die Jakuten besiedeln.
Um so weit nach Sibirien vorzudringen, haben die Neun einiges auf sich genommen: 800 Kilometer Schotterpiste per Bus-Taxi, ein klappriger VW-Bus mit ortskundigem Fahrer. „Mietwagen gibt es da nicht“, erklärt Maren Reder. Davor sechs Tage Transsibirische Eisenbahn von Moskau nach Nowosibirsk. „Das beste daran war der Räucherfisch vom Baikalsee“, sind sich alle einig. Den haben Bäuerinnen neben anderen Köstlichkeiten an den Bahnhöfen angeboten. In den Camps entlang des Flusses Lena ging es jedoch karger zu. Mahlzeiten aus Blecheimern am offenen Feuer waren da Standard.
Ein Schiff hat die Gruppe von Camp zu Camp gebracht, von wo aus sie ihre Touren unternahmen. Auf sich allein gestellt in der Wildnis. Einziger Kontakt zur Außenwelt: ein Satellitentelefon. Angst? Keine Spur. „Es wurde ja auch nicht richtig dunkel“, erklären die Schüler. Nur einmal hätten sie morgens frischen Bärenkot entdeckt. „Die waren ganz in der Nähe“, sagt Freudenberg.
Auf die Frage, was sie denn am meisten vermisst hätten, sagt Börries: „Warmes, fließendes Wasser. Bei vier Grad Außentemperatur überlegt man sich dreimal, ob man in den Fluss springt.“ „Das machte aber nichts“, ergänzt Völckner. Sämtliche Gerüche habe eh der Rauch des Feuers überdeckt. „Den roch man noch beim Kofferauspacken.“
Inzwischen ist er wohl verflogen. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine faszinierende Landschaft. Wiedersehen nicht ausgeschlossen.