Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 9. März 2019, S. 8 [1]
Von Andrea Henkelmann
Die Leiterin des Ethik- und Architektur-Projekts am Kunsthistorischen Institut in Florenz/Max-Planck-Institut, Hana Gründler, referierte in Aurich. (Foto: Henkelmann)
Aurich. Kunst liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Ob das tatsächlich so ist und welche Rolle Betrachter und Künstler im Prozess des Schaffens dabei spielen, war am Donnerstagabend Thema eines Vortrages, der im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage stattfand.
„Handarbeit – Denkarbeit – Selbstarbeit – Überlegungen zur Kunst der Abweichung“ war der Titel der Veranstaltung, die im Auricher Güterschuppen stattfand. Dr. Hana Gründler, Leiterin des Ethik- und Architektur-Projekts am Kunsthistorischen Institut in Florenz/Max-Planck-Institut, ging dabei vor allem auf das Verhältnis von Kunstgeschichte und Philosophie ein. Die etwa 30 kunstinteressierten Zuhörer erfuhren in dem einstündigen Vortrag etwas über das widersprüchliche Verhältnis zwischen Kunst, Sehen und Ethik. Angefangen bei Künstlern der Frühen Neuzeit wie Leonardo da Vinci, der „Bewegung sichtbar werden lassen wollte“ und dessen „Kritzeleien“ mitunter aufschlussreicher seien als seine Werke selbst bis hin zu ausgewählten Positionen der Performance Art, die bewusst künstlerisches Können und gesellschaftliche Normen infrage stellen. Diese Kunstform hinterfrage die Trennbarkeit von Künstler und Werk und werde durch eine situationsbezogene, handlungsbetonte und vergängliche künstlerische Darbietung eines „Performers“ dargestellt, so Gründler.
In diesem Zusammenhang ging sie ausführlich auf die tschechoslowakische Kunst und Philosophie in der Zeit von 1960 bis 1990 ein. Menschen, die sich mit ausgebreiteten Armen gegen den Strom in eine Einkaufsstraße stellen oder einer Straße Pflastersteine entnehmen, um dort Osterglocken zu pflanzen. Anhand mehrerer Fotografien machte sie deutlich, wie sich Künstler in dieser Zeit versuchten, auszudrücken. Damit habe sich die „Kunst der Abweichung“ auf einen zweiten Weg gemacht, so Gründler. Es sei beispielsweise in der Zeit des „Prager Frühlings“ (1968) darum gegangen, Regeln zu durchbrechen. Sowohl in der Geschichte der Kunst als auch in der Literatur.
Gründler ist Gastprofessorin für Geschichte der Philosophie der Frühen Neuzeit am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Sie hat unter anderem an der Kunstakademie Düsseldorf sowie an den Universitäten Zürich, Basel und Freiburg unterrichtet und eine Vielzahl von internationalen Workshops und Tagungen organisiert.
Zu ihren zahlreichen Publikationen gehören mehrere Bände der Edition Giorgio Vasari, eine Monografie über die Bedeutung des visuellen und bildnerischen Vokabulars in Ludwig Wittgensteins Spätphilosophie, verschiedene Artikel über die epistemischen Implikationen des Zeichnerischen, die Frühgeschichte des Erhabenen sowie Emmanuel Levinas und die Kunst.
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