Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 17. März 2018, S. 3 [1]
Von Helmut Vortanz
Ostfriesland hatte jahrzehntelang unter den Folgen der Flut zu leiden, berichtete Historiker Professor Dr. Manfred Jakubowski-Tiessen. (Foto: Vortanz)
Aurich. In der Heiligen Nacht ist der Tod gekommen: Eine der schwersten Sturmfluten der Geschichte brach in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1717 über die Küstenbewohner herein. An die schrecklichen Geschehnisse vor gut 300 Jahren erinnerte in dem Vortrag „Weihnachtsflut 1717“ Professor Dr. Manfred Jakubowski-Tiessen von der Georg-August-Universität in Göttingen. Der Historiker sprach im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage. Rund 250 Besucher im Foyer des Gymnasiums Ulricianum folgten seinen Ausführungen, obwohl erst im Dezember des letzten Jahres ausführlich über die schrecklichen Ereignisse berichtet wurde.
Die Naturkatastrophe kam für die Menschen in den Küstenregionen völlig unerwartet. Der Sturm aus Südwesten war am frühen Abend des 24. Dezember abgeflaut, sodass die Menschen sich nach den Weihnachtsfeiern unbesorgt ins Bett gelegt hatten. Doch in der Nacht drehte der Wind auf Nordwest und entwickelte sich zu einem schweren Orkan. In den frühen Morgenstunden konnten nach zeitgenössischen Berichten die ersten Deiche den Wassermassen nicht mehr standhalten. Das eiskalte Wasser überflutete die Marschregionen von Skandinavien, Norddeutschland und den Niederlanden.
Beinahe 11 000 Menschen fanden den Tod – davon rund 2800 in Ostfriesland. In Ostfriesland und dem Harlingerland wurden etwa 2600 Häuser zerstört. Rund 15 000 Pferde, Rinder, Schweine und Schafe ertranken in den Fluten. „Auff dem Wasser selbst schwammen noch Betten, Kasten, Menschen, Vieh und allerhand Guth herum. Man sah auch hin und wieder auf den Häusern Menschen sitzen, welche mit Noth-Zeichen ihr Elend vorstelleten“, schildert ein zeitgenössischer Bericht die Katastrophe. Erst am 28. Dezember legte sich der Sturm endgültig.
Teilweise waren die Deiche bis zum Grund weggespült, und das Salzwasser strömte monatelang mit Ebbe und Flut bis an den Rand der Geestgebiete. Der Wiederaufbau der notdürftig reparierten Deiche wird durch zwei weitere Fluten am 25. Februar 2018 und die Neujahrsflut am 31. Dezember/1. Januar 1720/1721 zunichte gemacht. Durch das weiter ungehindert einfließende Salzwasser waren die Böden auf Jahre hinaus nicht mehr zu bewirtschaften.
Da die Landbesitzer jedoch für die Erneuerung bestimmter Deichabschnitte verantwortlich waren, folgte der Naturkatastrophe eine finanzielle und wirtschaftliche Krise von ungeheurem Ausmaß. Viele Hofbesitzer verließen das Land, weil sie ihre Steuerschulden und Abgaben nicht mehr bezahlen konnten. Die Deichverbände übernahmen zu großen Teilen das herrenlose Land. Die ostfriesische Regierung bemühte sich um Kredite und bekam schließlich rund 1,8 Millionen ostfriesische Gulden gegen Verpfändung von Ländereien aus den Niederlanden. Erst 100 Jahre später konnte die letzte Rate dieser Darlehen getilgt werden.
Inzwischen gilt es als sicher, so Jakubowski-Tiessen, dass die Folgen der Flut nur so verheerende Auswirkungen hatten, weil in der Anfang des 18. Jahrhunderts geschwächten Küstenregion das Geld für den Erhalt der Deiche fehlte. Ohne staatliche Hilfe wäre die Katastrophe nicht zu bewältigen gewesen.
Nach der Begrüßung durch Schulleiter Dieter Schröder moderierten die beiden Stipendiaten Uwe Aden und Peter Naumann vom Gymnasium Ulricianum diesen Abend. Sie berichteten über ihr Praktikum am Europäischen Institut für Kernforschung in Genf.
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