Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 18. Februar 2017, S. 5 [1]
Von Stephan Schmidt
Gestenreich: Jürgen Kaube, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in Aurich. (Foto: Schmidt)
Aurich. Populisten, wohin man schaut: Nach Silvio Berlusconi in Italien oder Jörg Haider in Österreich kommen jetzt Marine Le Pen in Frankreich, Nigel Farage in Großbritannien, Beppe Grillo in Italien, Geert Wilders in den Niederlanden oder Frauke Petry in Deutschland. Und dann natürlich Donald Trump. Für Jürgen Kaube, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist der neue amerikanische Präsident das Paradebeispiel eines Populisten.
Kaube befasste sich am Donnerstag im Güterschuppen in Aurich mit dem Phänomen der Populisten, die überall in Europa und der Welt immer stärker zu werden scheinen und die etablierten Parteien in Empörung und Schrecken versetzen. Was ist eigentlich ein Populist? Ist es ein Kampfbegriff oder kann er wertfrei gebraucht werden? Was macht einen Populisten aus? „Wir brauchen Begriffe“, sagte Kaube. „Sich nur über sie aufzuregen, reicht nicht.“
Der Journalist und Soziologe Kaube näherte sich in der Veranstaltung der Auricher Wissenschaftstage den Antworten mit Hilfe von Max Weber, einer der großen Theoretiker der Sozialwissenschaften. Bei Weber stieß Kaube auf eine bekannte Definition von Herrschaft. Im Fall der Populisten sei dies Charisma: Menschen folgten einem Herrscher auf emotionaler Basis. Die Beherrschten seien überzeugt, der charismatische Herrscher verfüge über außergewöhnliche persönliche Qualitäten, die andere nicht besäßen. Und Populisten, so Kaube, seien selbst davon überzeugt.
„Was alle Populisten eint, ist das merkwürdige Bestehen darauf, dass sie das Volk würdiger repräsentieren“, sagte Kaube. Würdiger als alle anderen Politiker. Populisten glaubten daran, dass Wahlen an sich den Willen des Volkes abbildeten – und dass es diesen „einen“ Willen „eines“ Volkes gebe.
Populisten verstehen sich nach Kaubes Auffassung nicht als Korrektiv für die anderen Parteien, sondern als deren Ersatz.
Kaube machte die vier wichtigsten Feinde von Populisten aus: Gerichte, Beamtenapparat, Medien und Universitäten. Das seien Bereiche, deren Vertreter nicht durch Wahlen bestimmt würden, auf die Populisten also nicht unmittelbaren Einfluss nehmen könnten. „Die ersten Konflikte gibt es mit den Gerichten“, so Kaube. Und: „Wenn man kann, muss man Journalisten verhaften.“ Das machten Populisten, wenn sie „richtig auf Touren“ gekommen und in eine Machtposition gelangt seien.
Populisten kennen nach Kaubes Definition keinen Kompromiss. Verhandlungen, Geschachere, Taktieren: Das sei nicht ihre Sache. Das Klein-Klein beim Regieren liege ihnen nicht. Es sei kein Zufall, dass Donald Trump nach seiner Wahl zum Präsidenten seine Rhetorik kaum gebremst hat. „Das ist Wahlkampf nach dem Wahlerfolg. Er redet genau so weiter.“ Denn im Wahlkampfmodus fühle er sich wohl.
Trump ist allgegenwärtig in den Medien – und auch am Donnerstag in Aurich. „Der ist krass“, sagte Kaube. Diesen Begriff habe Max Weber um das Jahr 1900 noch nicht gekannt, aber er beschreibe Trump treffend. „Das ist eine Komponente seiner Attraktivität.“ Sein aggressives, exzentrisches, unpräsidiales Verhalten stoße bei seinen Gegnern zwar auf Hohn und Spott. Seine Anhänger liebten ihn aber dafür, betonte Kaube. Nach dem Motto: „Der traut sich was.“
Populisten, so Kaube, werde es leicht gemacht. Die Wahlbeteiligung sinke, die Zahl der Parteimitglieder auch. Die Verdrossenheit mit Parteien wachse. Ebenso wie bei vielen der Wunsch nach etwas Neuem. Egal was. „Innerhalb der Demokratie verläuft ein Graben zwischen dem Volk und der politischen Elite“, sagte Kaube. Viele glaubten daran, dass hinter allem eine Verschwörung stecke. Das machten sich die Populisten zunutze.
„Soziologisch sind nicht die Berlusconis, die Wilders’ oder die Trumps das Interessante. Interessant sind die Leute, die sie wählen“, schloss Kaube.
Doch das scheint ein Thema für einen weiteren Vortrag zu sein. Denn die Antwort auf die Frage, wer für Populismus anfällig ist, blieb der Publizist in Aurich schuldig.
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