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Auricher Wissenschaftstage –
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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 13. Februar 2017, S. 5 [1]

Legenden zerschlagen und Sprüche geklopft

Auricher Wissenschaftstage: Vortrag über Martin Luther nahm sich Mythen über das Wirken des Reformators vor, klebte aber zu sehr an Anekdoten

Von Karin Böhmer

Foto von Dr. Friedrich Schorlemmer auf der Eröffnungsveranstaltung der 27. Auricher Wissenschaftstage 2017, 14 k

Friedrich Schorlemmer sprach über Luther: Neben der Ana­lyse vieler Aussprüche räumte er mit Legenden wie dem The­sen­anschlag mittels Hammer auf. (Foto: Banik)

Aurich. Mit einigen Legenden über Martin Luther hat er aufgeräumt, doch Dr. Friedrich Schorlemmer ist bei der Eröffnung der Auricher Wissenschaftstage am Freitagabend im Foyer der Auricher Sparkasse eine Antwort schuldig geblieben: Wie kam es zu den antijudaistischen Schmähungen Luthers und wie ist dies heute zu bewerten? Der Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler wollte den Reformator zum 500. Jahrestag des „Thesenanschlags“ zwischen „Freiheitskämpfer – Sprachgenie – Antisemit“ verorten. Luthers antijudaistischen Ausfälle der späten Jahre rügte Schorlemmer zwar wiederholt, dem Kapitel Antisemitismus an sich widmete er aber nur schlanke fünf Minuten.

Die Figur Luther hat Schorlemmer tief geprägt, so viel wurde deutlich. Als Prediger an der Wittenberger Lutherkirche hatte Schorlemmer dessen Erbe selbst zu DDR-Zeiten überall um sich. Und er verdeutlichte mit zahlreichen Fotos, wie oft er selbst Luther zu einem Bezugspunkt für die Wittenberger Christen machte.

Doch die Komplexität und Ambivalenz der Figur – mit all den politischen Folgen, die Luthers Theologie schon zu dessen Lebzeiten nach sich zog – blieb in zahlreichen Anekdoten schemenhaft. Am Ende des Vortrages gab es nur eine einzige Frage aus dem Publikum: Ist der Ausspruch „Wenn Gott keinen Spaß verstünde, wollte ich nicht in den Himmel“ von Luther? Ja, er ist es. Anderes wurde Luther nur zugeschrieben, wie der Spruch mit dem Apfelbäumchen.

Es war nicht so, dass es Schorlemmers Vortrag an Humor fehlte. Gleich zu Beginn spielte er bei der Legende vom Thesenanschlag Luthers mit dem Gerede vom Postfaktischen. „Diesen Hammer habe ich selbst bei Grabungsarbeiten gefunden“, behauptete Schorlemmer und hielt ein Hämmerchen hoch. Doch der Thesenanschlag mit dem Werkzeug bleibt Legende, allem Glaubenwollen zum Trotz.

Das Glaubenwollen war laut Schorlemmer ein starker Antrieb für Luther. Er kam zu einer gänzlich anderen Interpretation des Gott-Mensch-Verhältnisses als die offizielle Theologie von damals. Laut Schorlemmer war dies Luthers Beitrag zur Emanzipation des Gläubigen: Wenn dieser sich trotz seiner Fehler sicher angenommen wisse, könne er Fehler verzeihen und Argumente des Gegenübers gelten lassen – selbst wenn er sie nicht teile.

Luther habe die zehn Gebote, die als Verbote formuliert sind, ins Aktive gewendet und positives Handeln gefordert. Die Bibelübersetzung und sein Beharren, nur vor einem besseren Argument die eigene Überzeugung zu widerrufen, seien die großen Schritte der Reformation. Geschaffen habe sie ein Mann, der erfolgreich um innere Freiheit gerungen habe, und gleichzeitig voller Schwächen war. Dass Schorlemmer dies als Stärke sieht, ließ er mit launigen Worten außer Zweifel. Tatsächlich war Schorlemmer selbst fast so sehr Thema seines Vortrages wie Luther.

Sparkassen-Vorstand Carlo Grün zeichnete in seiner Begrüßung hingegen ein finsteres Bild: Er konstatierte den Verlust der eigenen Meinungsbildung im schnelllebigen Medienzeitalter. Populismus schüre Emotionen, die Fakten an den Rand drängten, sodass nüchtern getroffene Zukunftsentscheidungen kaum möglich seien. Ausgerechnet in Wohlstand und Sicherheit entwickele sich eine Anti-Aufklärung. Frei nach Luther sollten Politiker von heute dem Volk stärker aufs Maul schauen, diesem aber nicht nach dem Maul reden, forderte Grün. Auch das Publikum der Wissenschaftstage müsse aufpassen, nicht in einer Blase zu leben. Es dürfe die Sorgen der Abgehängten nicht ignorieren und müsse gleichzeitig dem Ignoranz-Tsunami im Internet entgegensteuern.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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