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Auricher Wissenschaftstage –
Forum einer dritten Kultur

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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 14. April 2016, S. 5 [1]

Gutes Leben nur durch Freiheit

Die Philosophin und Physikerin Rafaela Hillerbrand sprach im EEZ über Umweltethik / Lediglich 30 Zuhörer

Von Aiko Recke

Foto von Prof. Dr. Dr. Rafaela Hillerbrand bei ihrem Vortrag auf den 26. Auricher Wissenschaftstagen, 19 k

Prof. Rafaela Hillerbrand ist Philosophin und Phy­si­kerin zugleich – ganz im Sinne einer „dritten Kultur“. (Foto: Recke)

Aurich. Was denn nun eigentlich das „gute Leben“ ist, von dem im Titel des Vortrags die Rede war, das konnte Prof. Rafaela Hillerbrand am Ende zwar nicht konkret, sondern nur ziemlich abstrakt sagen.

Doch der Reihe nach: Lediglich rund 30 Zuhörer, die Organisatoren schon mitgezählt, folgten am Dienstagabend den durchaus anregenden Betrachtungen über Ethik und Technik im Rahmen der 26. Auricher Wissenschaftstage im neuen Energie-, Bildungs- und Erlebniszentrum (EEZ). Ein enttäuschender Zuspruch für den Vortrag, der eigentlich bereits im Februar stattfinden sollte. Dabei hatten sich Enercon und die EEZ-Mitarbeiter alle Mühe gegeben, gute Gastgeber zu sein.

Der Enercon-Vertriebsleiter für Nordeuropa, Robin Borgert, betonte in seiner Begrüßung, dass sein Arbeitgeber das Spannungsfeld zwischen Ethik und Energie täglich spüre. Man produziere zum Beispiel fast ausschließlich in Ländern mit hohen Umweltstandards. Borgert wies dagegen auf die Probleme anderer Energieformen als der Windkraft hin (Endlagerung und Ewigkeitskosten bei Atomkraft, Bergsenkungen und Fracking bei Kohle).

Doch der Professorin, die gebürtig aus Bayern stammt, ging es nicht darum, konkrete Energieformen zu benennen, die aus ethischer Sicht „besser“ oder „schlechter“ sind. Ihr entscheidender Punkt war ein anderer. Die Grundvoraussetzungen für ein gutes Leben seien universell, so die Wissenschaftlerin vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Entscheidend sei, die Freiheit zu haben, sein Leben nach den eigenen Maßstäben auszurichten. Das sei letztlich die Grundvoraussetzung für ein gutes Leben – in Aurich und überall auf der Welt.

Zu Beginn ihrer Betrachtungen nahm die Philosophin und Physikerin den Begriff des Risikos in den Fokus. Es handele sich um eine normativ aufgeladene Bezeichnung, über die schwer Einigkeit zu erzielen sei. Immer wieder gebe es Konflikte verschiedener Wertepaare, zum Beispiel: Nachhaltigkeit versus Wohlstand oder Sicherheit versus Privatsphäre. Solche Konflikte gebe es in jeder Debatte, auch über Energieformen. „Es gibt keinen nicht-brennbaren Brennstoff“, so Hillerbrands Formel. Als Beispiel nannte sie die Bedenken von Fledermausschützern gegen die Windenergie – vor allem in südlichen Bergregionen. Auch gegen ein Pumpspeicherkraftwerk in ihrer bayerischen Heimat habe es Proteste gegeben.

„Nimby-Erklärung ist von der Wissenschaft widerlegt“

Ein naheliegendes Deutungsmuster der Sozialwissenschaftler für den Bürgerprotest sei die sogenannte „Nimby“-Erklärung. Demnach argumentieren Anwohner gegen Projekte mit vorwiegend egoistischen Interessen nach dem Motto „Not in my backyard“ („Nicht in meinem Hinterhof“). Doch die aktuelle Forschung komme zur Überzeugung, dass diese Annahme so nicht haltbar sei. In Wirklichkeit gebe es oft Werte, die in der Diskussion nicht berücksichtigt würden, zum Beispiel Ästhetik (der Landschaft), der Verlust an Heimat oder auch mangelnde Verfahrensgerechtigkeit (Transparenz).

Oft reagierten Politik und Verwaltung auf Proteste mit Entschädigungsangeboten. Doch darum gehe es den Anwohnern in der Regel gar nicht. „Sie wollen meist nur ernst genommen werden, auch mit ihren teilweise irrationalen Ängsten“, erklärte Hillerbrand. Ein spannender Punkt angesichts der wachsenden Proteste gegen Windparks auch im Kreis Aurich.

Als Alternative zu den klassischen Theorien des guten Lebens, stellte Hillerbrand „objektive“ und „subjektive“ Ansätze gegeneinander, schlug die Wissenschaftlerin den sogenannten „Capability“-Ansatz vor. Er akzeptiere und berücksichtige auch andere mögliche Lebensentwürfe. Entscheidend sei aber die Freiheit, den eigenen Entwurf realisieren zu können. Zu diesem recht abstrakten Konzept gab es aus den Zuhörerreihen am Dienstag kritische Nachfragen. „In der Realität läuft es doch anders“, hieß es. Dort spielten etwa Nachhaltigkeitserwägungen kaum eine Rolle. Prof. Hillerbrand sah das anders. Sie nannte als Beispiel die Chemieindustrie, die sich in den letzten Jahren vermehrt um das Thema kümmere. Ein Beispiel, das noch naheliegender gewesen wäre, nannte sie nicht: Enercon, der Auricher Konzern, dessen Gründer Aloys Wobben zu seiner aktiven Zeit immer wieder seine wohl auch ethisch motivierte Vision von sauberer Energie für alle („Energy for the world“) betonte.

Vor dem Vortrag von Prof. Hillerbrand berichteten die Stipendiaten Lisa Döhring und Gerd Gerdes von den BBS II Aurich von ihrem Aufenthalt am Institut für Festkörper- und Wertstoffforschung in Dresden.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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