Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 7. März 2016, S. 6 [1]
Von Karin Baumann
Prof. Frank Godemann aus Berlin demonstrierte im Auricher Güterschuppen, wie Menschen sich ihren Ängsten aussetzen und dabei ihre Angst in den Griff bekommen. (Foto: Baumann)
Aurich. Gut gelaunte Zuhörer verließen am Freitagabend den zuvor bis auf den letzten Platz besetzten Auricher Güterschuppen nach dem Vortrag des Psychiaters und Psychologen Frank Godemann – und das trotz des schwierigen Themas: Godemann hatte über Angst und Bewältigung gesprochen. Und zwar von einer Angst, die als Erkrankung gilt. Klar davon zu unterscheiden, seien Sorgen und Depressionen, so Godemann.
Geforscht hat der gebürtige Sandhorster auf ungewöhnliche Weise. Er hat nicht diejenigen Patienten untersucht, die sich schon wegen ihrer Angststörung behandeln lassen. Sondern er hat für seine Erforschung der Angstursachen Menschen begleitet, die aus heiterem Himmel von einer bedrohlich wirkenden Erkrankung heimgesucht wurden, nämlich starken Schwindelanfällen. Ein Teil dieser Patienten entwickelt nach Godemanns Erfahrung Angststörungen. Er konnte also eine Gruppe beobachten, bei der ein Teil die Folgeerkrankung Angst entwickeln würde und der Rest die Situation als bedrohliche, aber abgeschlossene Episode verarbeiten würde.
Laut Godemann zeigten sich die Unterschiede bereits binnen Tagen. „Am Anfang hatten alle Patienten Angst“, sagte er, „doch nach einer Woche fingen sie an, ihre Erfahrungen unterschiedlich zu bewerten.“ Die einen hätten über die Erfahrung gesagt: „Das macht mir Angst, aber es ist vorbei.“ Andere hätten gesagt: „Es ist etwas Katastrophales passiert. Es könnte wieder auftreten.“
Angst erzeuge Angst, so Godemann. Das Gehirn suche ständig nach potenziell gefährlichen Situationen, sobald eine Angsterfahrung in der Amygdala abgespeichert wurde. Die Amygdala ist ein Teil des Gehirns und an der Entstehung von Angst beteiligt. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren. Gegen die tiefsitzende Angst helfe nur die sehr detaillierte Analyse mit dem Patienten, wie die Angst entsteht und sein Kopf diese einordnet, sagte Godemann. Oft helfe es, wenn die Patienten sich der eigentlich ungefährlichen Situation, die ihnen aufgrund ihrer schlechten Erfahrung Angst macht, wieder aussetzen. Nach einiger Zeit nehme das Angstgefühl ab, weil der Mensch lerne, dass er die Macht über die Situation behalten kann.
Wie wichtig die Bewertung von Zuständen ist, verdeutlichte Godemann ganz praktisch. Die Zuhörer sollten alle so lange tief einatmen, bis ihnen schwindelig wird. Angst entwickelte dabei keiner der Auricher. Denn allen war klar, dass der Schwindel direkt mit der Atmung zusammenhängt und nicht gefährlich ist. Das sei auch Teil der Therapie: mit den Patienten Symptome zu provozieren und zu verdeutlichen, dass nichts Bedrohliches passiert. Wer Angst vor dem U-Bahn-Fahren bekommen hat, dem rät der Psychiater, nicht an jeder Station aus- und wieder neu einzusteigen. Auch an der Tür sollten sich die Betroffenen nicht aufhalten. „Mit Blick auf Fluchtmöglichkeiten trainieren Sie nur Ihre Angst“, so Godemann.
Zahlreiche Fragen folgten auf den Vortrag. Dass Angststörungen nicht häufiger werden, betonte der Referent an zwei Stellen. Im Alter nehme Angst nicht unbedingt zu. Aber die Sorgen würden bei vielen Menschen aus nachvollziehbaren Gründen mehr. Generell sei kein Anstieg von Angsterkrankungen auszumachen. Eine Zuhörerin fragte, ob die heutige Notfallseelsorge Ängste nicht eher schüre. Sie entstamme der Kriegsgeneration und habe ihre Erfahrungen eigenständig verarbeiten müssen. Godemann gab ihr Recht: Wenn gleich nach einem schlimmen Erlebnis immer wieder über die damit verbundenen Gefühle gesprochen werde, bestehe die Gefahr, dass die Angst stärker abgespeichert werde. Einen Scherz machte der gebürtige Auricher noch: „Ich habe heute gelesen, dass das Auricher Krankenhaus Schwierigkeiten hat“, sagte er, „wenn Sie sich gründlich auf Ängste hin beobachten und öfter mal einen Arzt aufsuchen, können Sie die Klinik vielleicht unterstützen.“
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