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Auricher Wissenschaftstage –
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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 28. März 2015, S. 8 [1]

Alltagsdenken ist nicht monoton

Abschlussreferent der Auricher Wissenschaftstage sprach über die Stärke von weichen Schlüssen in der Logik

Von Karin Baumann

Foto von Prof. Dr. Hannes Leitgeb, 6 k

Prof. Han­nes Leitgeb

Aurich. Als die Computer erst aufkamen, hörte man ihn oft, den Satz „Ist doch logisch, oder?“. Ein wenig scheint er inzwischen aus der Mode gekommen, doch Logik ist noch immer ein zentraler Maßstab des Alltagsdenkens – und der Arbeitsweise von neuronalen Netzen und den daran angelehnten Computern.

Die Schlüsse, die jeder Mensch ständig im Alltag zieht, sind gar nicht so untauglich, um neuronale Netze und künstliche Intelligenz zu erklären, wie man vielleicht meinen könnte. Auch wenn die Alltagslogik der Erfahrung der meisten Menschen zuweilen ins Leere läuft – gerade ihre „Weichheit“ macht sie von der Struktur her zu einer sehr geeigneten Vorlage für das Verständnis von komplexen logisch strukturierten Systemen.

Das war die Kernaussage von Prof. Hannes Leitgeb beim letzten Vortrag der diesjährigen Wissenschaftstage. In seinem Referat verglich er die Erforschung der Logik mit einem Drama in fünf Akten. Neben der Mathematik und der Philosophie streiten sich auch andere Wissenschaften um das richtige Herangehen. Nämlich die vergleichsweise jungen Disziplinen, die sich mit Neurologie, Neuronalen Netzen und Künstlicher Intelligenz befassen.

Leitgeb hat Doktortitel in den Fächern Mathematik und Philosophie. An der Universität München baut er im Rahmen einer geförderten Humboldt-Professur ein Institut auf, das beide Fachrichtungen mit den Kognitionswissenschaften zusammenbringen soll.

Im Auricher Güterschuppen legte der Wissenschaftler seinen Fokus auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der Disziplinen. Den ersten Auftritt in seinem Drama hatte die Philosophie, die Gedanken als abstrakte Objekte unserer geistigen Einstellungen definierte und ihrem Inhalt die Ausprägungen „wahr“ oder „falsch“ zuordnete. Aus mehreren Aussagen ließen sich dann Folgerungen treffen und mathematisch darstellen. „Die Wahrheit der Prämissen zieht die Konklusion zwangsläufig nach sich“, sagte Leitgeb und gab mehrere Beispiele.

Um 1940 sei von Walter Pitts und Warren McCulloch die Parallele zwischen logischen Schlüssen und neuronalen Verbindungen entdeckt worden, sagte Leitgeb über den Beginn seines aktuellen Forschungsfeldes.

Die beiden Amerikaner fanden heraus, dass Nervenzellen „entweder feuern oder nicht“. Ihre Funktionsweise in einem Netz ließ sich also ähnlich mathematisch beschreiben wie die Wahr-/Falsch-Struktur in der Logik.

Mit der These, dass alle wesentlichen kognitiven Fähigkeiten mittels der Eigenschaften künstlicher neuronaler Netze erklärt werden könnten, sei in den 80er-Jahren der Konnektionismus stark geworden. so Leitgeb.

Doch die logischen Regeln erwiesen sich als zu „hart“, um das Schließen in neuronalen Sätzen zu erfassen. Mehr wahre Prämissen müssten die Schlussfolgerung theoretisch erhöhen. Doch dieses „monoton“ genannte Schema erwies sich als falsch. Und hier sei das ins Spiel gekommen, was unter Alltagsschlüssen zu verstehen ist, sagte Leitgeb.

Leitgeb wählte ein leicht verständliches Beispiel mit folgenden Prämissen. Erstens: Tweety ist ein Vogel. Zweitens: Vögel können fliegen. Klassischer Schluss: Tweety kann fliegen.

Wenn Tweety nun aber ein Pinguin sei, sei dieser nach logischen Regeln gezogene Schluss falsch, weil Pinguine eben nicht fliegen könnten. Es gebe Ausnahmen, sagte Leitgeb, und zwar recht oft. Das führe entsprechend zu „nicht mehr logischen, sogenannten anfechtbaren“ Schlüssen, so Leitgeb.

Auch dieses Prinzip gibt es in neuronalen Netzen. Neuronen feuern oder nicht, aber gleichzeitig werden sie von anderen Neuronen blockiert oder nicht. Leitgeb verdeutlichte diese Struktur mit Schaubildern und übertrug auch die in Formeln. Dabei benutzte er Zeichen, wie sie Informatiker verwenden, wenn sie Ausnahmen definieren. Denn die Prozesse in Computern sind denen in neuronalen Netzen ähnlich.

Für das Erklären von neuronalen Netzen komme eine weitere Hürde hinzu, verdeutlichte Leitgeb: Gedanken entstünden nicht an einem Cluster von Nervenzellen, sondern verteilt über mehrere Regionen im Hirn. Genau hier setzt Leitgeb bisherige Forschung an. Er hat fünf logische Regeln ausgemacht, die in einem neuronalen Netz gelten. Die Fachbegriffe sagen dem Laien wenig, folgen aber den Formeln für weiches Schließen: Reflexivität, Linke Äquivalenz, Rechte Abschwächung, Vorsichtiger Schnitt und Vorsichtige Monotonie. Alle Schlüsse, die nach diesen Regeln widerspruchsfrei möglich sind, seien in neuronalen Netzen realisierbar, sagte Leitgeb.

Mit diesen Regeln zu rechnen, ist das Ziel seiner Forschung. Überspitzt gesagt, möchte Leitgeb die komplexe weiche Logik in Netzen berechenbar und für Philosophie, Informatik und Neurowissenschaften nutzbar machen. Die Mathematik könne die gemeinsame Sprache sein, sagt er. Mit welchen Fragestellungen und Projekten er das konkret untersucht, dafür gab der Referent leider keine Beispiele mehr.

Am Ende stellten die Zuhörer interessante Fragen. Ob Goethes Faust glücklich werden könne, beispielsweise. Oder ob eine Einführung in die Logik nicht stärker Thema des Unterrichts werden solle. Leitgebs spontanes Lachen daraufhin gab schon die Antwort: Natürlich sollte das so sein. Logisch.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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