Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 21. Februar 2015, S. 8 [1]
Von Karin Baumann
Prof. Ulrike Gehring erklärte bei den Auricher Wissenschaftstagen, warum astronomische Erkenntnisse den Horizont auf Bildern verschoben haben. / Foto: Baumann
Aurich. Das Weltbild prägt die Bilder von der Welt. Das ist, vereinfacht gesagt, die These von Prof. Ulrike Gehring von der Universität Trier. Die Kunsthistorikerin referierte am Donnerstagabend bei den Auricher Wissenschaftstagen über das Thema „Der geometrische Raum. Kunst und Wissenschaft im 17. Jahrhundert“.
Dabei zeigte sie, dass Naturwissenschaftler, Ingenieure und Künstler gleichzeitig ihren Blick auf die Welt veränderten – und sich dabei gegenseitig stark beeinflusst haben. Durch die Kopernikanische Wende hätten immer mehr Menschen begonnen, den Raum als unendlich zu betrachten, sagte Gehring. Als Folge davon verschob sich in der Landschaftsmalerei der nördlichen Niederlande in der Mitte des 17. Jahrhunderts der Horizont immer weiter nach unten. Irgendwann bedeckten Himmel und Wolken zwei Drittel der Bildfläche. Die Erde war nach der allgemeinen Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes auch hier an die Seite beziehungsweise nach unten gerückt.
Der erste Künstler, bei dem sich das klar zeige, sei Jacob van Ruisdael gewesen, sagte Gehring. Obwohl seine Bilder auf den ersten Blick sehr authentisch wirkten, hätten Physiker nachgewiesen, dass er den gekrümmten Horizont so nie in natura gesehen haben konnte, sagte die Kunsthistorikerin. Auch die Wolkentypen, die so naturgetreu wirkten, gebe es in Wirklichkeit zwar alle. Doch ihre Komposition sei meteorologisch unmöglich. Das zeige, dass die Bilder bewusst gestaltet wurden und nicht die möglichst realistische Abbildung der Natur maßgeblich war, so Gehring. Die Kunst reflektierte die kosmologischen Erkenntnisse der Zeit.
Doch nicht nur das: Der veränderten Landschaftswahrnehmung in der bildenden Kunst waren Handbücher für Vermessungstechnik vorausgegangen. In ihnen wurde ganz praktisch das Vorgehen bei der Distanzmessung erklärt. Abbildungen verdeutlichten das Vorgehen der Kartografen und Vermesser. Dabei wurde gleichsam nebenbei die Landschaft dargestellt, die vermessen wird. Bevor die bildende Kunst die Landschaft entdeckt hatte, sei sie hier bereits dargestellt worden, so Gehring.
Auch der Wandel in der Kriegstechnik nahm laut Gehring Einfluss auf die Wahrnehmung der Landschaft und ihre Darstellung in der Historienmalerei. Moderne Festungsanlagen hätten die Darstellung von Städten verändert. Während im Mittelalter die Ansicht von der Seite mit der „Skyline“ typisch gewesen sei, wurden die Bastionen der Frühen Neuzeit vor allem von schräg oben dargestellt, um ihre Form und Bewaffnung zu zeigen. Auch die umgebende Landschaft war davon betroffen, sodass sie in einer Mischung aus Ansicht und Karte abgebildet wurde. Während in Quellen des Mittelalters der Raum zwischen Städten keine Rolle spielte, sei nun auch das Umland in den Blick gekommen, erläuterte Gehring: Die Landschaft wurde als kontinuierlicher Raum wahrgenommen.
Dass diese Erkenntnisse und Darstellungsformen in den nördlichen Niederlanden so unmittelbar in die Kunst einflossen, führt die Kunsthistorikerin auf damalige Organisationsformen zurück. An der Universität Leiden seien Ingenieure, Architekten und Kartografen zusammengekommen und hätten eng kooperiert, sagte die Kunstwissenschaftlerin. Zudem war Leiden ein Zentrum der modernen Astronomie, wo Galileo Galilei und Giordano Bruno stark rezipiert worden seien. In Lehrbüchern wurden gleichermaßen Techniken für die Landmessung und für astronomische Messungen erläutert. In Gilden trafen sich Vermesser und Künstler und nahmen Impulse voneinander auf.
Gehring fasste ihre Ausführungen so zusammen: Bilder wurden um 1650 zu dreidimensionalen Landschaftsdarstellungen. Die niederländische Landschaftsmalerei nahm die Entwicklungen der Historienmalerei auf. Künstler und Wissenschaftler strebten danach, die rationale Ordnung der sichtbaren und unsichtbaren Welt zu begreifen. Dabei entwickelte die Kunst früher eine Vorstellung des unendlichen Raumes als die Naturwissenschaft, der das erst 1667 mit Newton gelungen sei.
Der nächste Vortrag der Auricher Wissenschaftstage befasst sich am Montag, 23. Februar, ab 19.30 Uhr im Güterschuppen mit dem Thema Epigenetik.
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