Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 16. Februar 2015, S. 3 [1]
Von Heino Hermanns
Prof. Olaf Lechtenfeld
Aurich. Eine Herausforderung hatten die Auricher Wissenschaftstage am vergangenen Freitag im Programm. „Die Grenzen des physikalischen Wissens“ hieß der Vortrag von Prof. Olaf Lechtenfeld (Universität Hannover), der allerdings auch so manch einen der Zuhörer im voll besetzten Güterschuppen an seine Grenzen brachte. Denn Lechtenfeld hatte zwar angekündigt, nur drei Ausflüge in die Physik zu unternehmen – aber sein Vortrag hatte es auch zwischen diesen Exkursen in sich. Ein bisschen Ahnung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie konnte am Freitag nicht schaden, wollte man dem Vortrag folgen.
Deutlich wurde aber dennoch, dass es Grenzen der Physik gibt. Vor allem in der Quantentheorie gibt es Dinge, die bislang nicht erklärt werden konnten. Dazu gehört die „Spukhafte Fernwirkung“, die so genannte Quantenverschränkung. Hier zeigen zwei oder mehr Teilchen dasselbe Verhalten in einem Experiment, obwohl sie keinerlei Verbindung miteinander haben. „Die Welt in der Quantentheorie ist so verrückt“, meinte Lechtenfeld dazu, da finde man Grenzen, die der Mensch intuitiv nicht überspringen könne.
Auch Erklärungsversuche laufen in der Physik manchmal ins Leere, selbst wenn es sich um lange bekannte Phänomene handelt. Als Beispiel dafür nannte Lechtenfeld den Magnetismus, den man anschaulich nicht erklären könne. Das liege vielleicht daran, meinte der Physiker, dass es nicht real sei – nur, um dem gleich darauf selbst zu widersprechen. „Der Begriff ‚real‘ ist nicht sehr tauglich“, meinte er – zumindest in der Physik.
Anschaulicher wurde Lechtenfeld, als er von den Dingen sprach, die man zwar nicht kennt, die aber definitiv da sein müssten – die „Known Unknowns“. „Weniger als fünf Prozent der altgriechischen Tragödien sind bekannt“, sagte er, man wisse aber, dass es sie gegeben habe. Ebenso verhalte es sich mit Dunkler Materie. „Wir wissen, dass es gravitiert, wir wissen aber nicht, was es ist – aber ohne funktioniert es nicht“, so Lechtenfeld.
Mit dem Blick auf eine bedrohliche Entwicklung schloss Lechtenfeld seinen Vortrag. Es ging um die Wissensexplosion. 1850 habe es weltweit nur eine Million Wissenschaftler gegeben – heute seien es 100 Millionen. „Die müssen ja alle was schreiben“, sagte der Physiker. Tun sie auch, viele allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es würden 22 Prozent aller Arbeiten nie irgendwo zitiert, meinte der Physiker. Ein Beleg dafür, dass mehr Informationen nicht automatisch zu mehr Wissen führten. Die Folge sei allerdings eine „galoppierende Fragmentierung der Wissenschaft, es gebe immer mehr Spezialdisziplinen. Eine Entwicklung, die man laut Lechtenfeld nicht aufhalten könne. Aber auch ein Beleg dafür, dass die Grenzen des Erklärbaren immer weiter verschoben werden.
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