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Auricher Wissenschaftstage –
Forum einer dritten Kultur

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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 10. Januar 2015, S. 6 [1]

Mit einer Krawatte nach Florenz

Josef Antony initiierte vor 25 Jahren Auricher Wissenschaftstage und knüpfte auf unerwartete Weise Kontakte

Von Karin Baumann

Foto von Josef Antony, 27 k

Nach 25 Jahren Auricher Wissenschaftstage möchte Josef Antony kürzertreten. / Foto: Bau­mann

Aurich. Josef Antony war sauer. Der Initiator der Auricher Wissenschaftstage hatte sich eine Absage des Max-Planck-Instituts für Kunstgeschichte in Rom abgeholt, wohin er seine Stipendiaten schicken wollte. Und nun? Antony kam ins Grübeln. „Eigentlich ist die Hauptstadt der Kunstgeschichte ja Florenz“, dachte er sich. Und dann gab es doch diesen Referenten bei den Wissenschaftstagen, der die Vortragsreihe 2007 eröffnet hatte: Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Hänsch, der 2005 den Nobelpreis für Physik bekommen hatte. Ein Ehrenbürger von Florenz. Und vielleicht noch einen Gefallen schuldig.

Antony kennt Hänsch persönlich, denn er hatte ihn damals vom Flughafen abgeholt. Der Referent war traurig, weil eine Mitarbeiterin verstorben war. Am nächsten Tag sollte er in München die Grabrede halten. Und er hatte keine schwarze Krawatte dabei. Nach seinem Vortrag in Aurich reiste Hänsch mit Antonys Krawatte weiter. Also rief Antony ihn an. Hänsch vermittelte einen Kontakt zu seinem Freund Prof. Dr. Gerhard Wolf, Leiter des kunstgeschichtlichen Max-Planck-Instituts in Florenz – Antony durfte Auricher Stipendiaten schicken.

Mehrere Jahrgänge haben davon schon profitiert. „Sie sind dort sehr willkommen. Ich habe ein Schreiben: „Wir freuen uns sehr, wieder zwei Stipendiaten aus Aurich zu bekommen“, sagt Antony.

Dass Kontakte bei der Organisation der Wissenschaftstage genauso wichtig sind wie später für die Stipendiaten auf Jobsuche, verhehlt Antony nicht. Auch in der hehren Wissenschaft ist es gut, jemanden zu kennen, der jemanden kennt. Er hat oft erlebt, dass die Stipendiaten ihre geknüpften Netzwerke später gut nutzen konnten. Und dass ein Zeugnis von den Auricher Wissenschaftstagen Türen öffnet. „Einer der Absolventen war auf dem Forschungsschiff ,Polarstern’ und hat die antarktische Tiefsee untersucht. Nun ist er Manager eines großen Hotels“, sagt Antony. Kein künftiger Nobelpreisträger. Aber die Wissenschaftstage hätten geholfen, ihm seinen Weg zu ebnen. „Das war ein Ausweis, dass er sich Extremsituationen aussetzen kann“, sagt Antony.

Auf fundierter Grundlage erkennen, was man mal werden möchte – das ist die Grundidee der Wissenschaftstage. Antony hatte viele Schüler, die nach dem Abitur ratlos waren. Also nutzte er eine Offensive des Forschungszentrums Jülich. Das interdisziplinäre Zentrum wollte sich 1990 öffnen, indem es Wissenschaftler in Schulen entsandte. Das sei damals an den Berufsbildenden Schulen II eingeschlagen wie eine Bombe, erzählt Antony. Es ging um aktuelle Themen, die Schüler waren begeistert. Wenig später seien die ersten Stipendiaten nach Jülich gefahren und hätten dort an interdisziplinärer Forschung teilnehmen können, erzählt Antony.

Dann wurde zum einen das Netz der Stipendienplätze ausgebaut. Zum anderen wurden weiter namhafte Referenten zu aktuellen wissenschaftlichen Fragen nach Aurich eingeladen. Ihre Vorträge waren nun öffentlich.

Wenn der pensionierte Lehrer von all diesen Schritten und den kleinen und großen Erfolgen erzählt, sprühen Funken. 13 Nobelpreisträger holten er und seine Mitstreiter nach Aurich. Er lernte sie kennen, erlebte manche Schrulle mit ihnen.

Sowohl Frust als auch anrührende Begegnungen

Doch trotz der sprühenden Begeisterung für Wissenschaft und Wissenschaftler beginnt das Gespräch anders: vor einem Kartenausschnitt. Antony zeigt seine Laufstrecke am Ems-Jade-Kanal. „Laufen macht den Kopf klar“, sagt er. Und dann kommen die Ideen? „Ja, dann kommen Ideen. Aber man kann sich auch den Frust runterlaufen.“ Oh?

Ja, man müsse auch viel einstecken. Absagen hinnehmen, mit persönlichen Animositäten klarkommen, viel organisieren und sich von Zeit zu Zeit über Stipendiaten ärgern. Denn wenn diese zu spät kämen oder wenig Interesse zeigten, falle das auf ihn zurück. Er bekomme dann den Anruf: „Wen haben Sie uns da denn geschickt?“ Das komme natürlich nicht oft vor, so Antony.

Aber ist es nicht irreführend, Schüler an Spitzenforschungsinstitute zu schicken, während die meisten Nachwuchswissenschaftler lange Zeit in prekären Arbeitsverhältnissen und in weniger spektakulären Bereichen landen werden? Antony erzählt von der Faszination, die jeden Zuschauer ergreife bei den großen Experimenten. Wenn im Cern in Genf das ganz große Rad gedreht wird und die Stipendiaten als Teil einer Forschungsgruppe dabei sein können. Wenn sie an die Institute gehen, die nach Max Planck oder Hermann von Helmholtz benannt sind.

Es gehe um die großen Fragen, um das Warum. Dem könnten sich die Schüler nicht entziehen, die kämen automatisch. Antony und seine Mitstreiter Alexander Stracke, Wolfgang Völckner und Claudia Groen setzen bei ihrer Auswahl der Themen auf „Interessen aus der Lebenswelt“. Epigenetik und Hirnforschung seien derzeit ganz heiße Gebiete, sagt Antony. Was wird aus dem vielen Plastik, das in Nanopartikeln in unseren Körper dringt? Was löst Handystrahlung aus? Das müsse man doch fragen. Und mit ethischen Fragen verbinden.

Die Auricher Wissenschaftstage bezeichnen ihr Konzept als „Dritte Kultur“, als Brückenschlag zwischen erster – geisteswissenschaftlicher – und zweiter – naturwissenschaftlicher – Kultur. 2014 referierten Experten über Zoonosen, Klimawandel, Hirnforschung. Immer mit der Frage: Was macht das mit uns?

Antony hätte selbst Wissenschaftler werden können. Er entschied sich für die Schullaufbahn, dort war das Einkommen sicher. Eine spätere Promotion hatte er vor, sagt er, doch die Wissenschaftstage seien ihm wichtiger gewesen. Der Lohn waren erfolgreiche Schüler und anrührende Begegnungen. Der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker prägte ihn im Studium. Mit Schülern reiste Antony zum Zeitzeugengespräch. Von Weizsäcker litt unter Demenz, habe sich an die 1930er- bis 1950er-Jahre aber klar erinnern können. Er habe von den schwierigen ethischen Entscheidungen erzählt, als es um den Bau der Atombombe gegangen sei. Wegen seiner Vorarbeiten dafür habe er sich immer schuldig gefühlt. An das Buch, das Antony ihm zum Signieren mitgebracht habe, konnte sich der 91-Jährige jedoch nicht mehr erinnern. Antony schluckt, als er davon erzählt.

Oft sei er durch die interdisziplinären Fragen inspiriert worden. Nun jedoch möchte er sich zurückziehen. Den Kontakt zu den Instituten werde er noch weiter pflegen, schließlich sei dort das persönliche Vertrauen wichtig. Doch Referenten anheuern und die Organisation – das sollen so langsam Jüngere machen. Erwartet wird: Ein Schlips für den Notfall.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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