Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 17. März 2014, S. 4 [1]
Dr. Dirk Sievertsen referierte über das Germanenbild der Deutschen im Wandel der Zeiten. (Fotos: Lukes)
René Lindenbeck war Stipendiat der Wissenschaftstage im Niedersächsischen Landtag.
acl Aurich. Am vergangenen Freitag fand im Güterschuppen des Ulricianums in Aurich die Abschlussveranstaltung der diesjährigen Auricher Wissenschaftstage statt. Eröffnet wurde die Veranstaltung von dem Stipendiaten René Lindenbeck, der mit Hilfe der Wissenschaftstage im vergangenen Jahr ein zweiwöchiges Praktikum im Niedersächsischen Landtag machen konnte. In der Pressestelle der SPD-Fraktion wurde der 17-jährige Schüler mit verschiedenen Aufgaben betreut, die er selbstständig erledigen konnte. Lindenbeck zeigte sich sehr zufrieden mit seinem Praktikum. Er habe viel gelernt, konnte aber gleichzeitig auch Erlerntes aus dem Politikunterricht anwenden.
Im Anschluss an den Praktikumsbericht hielt der Althistoriker Dr. Dirk Sievertsen von der Universität Osnabrück einen Vortrag über die „Vermittlung des Germanenbildes von 1871 bis 1945“. Sievertsen untersuchte dieses Thema anhand von Schulbüchern aus verschiedenen Jahrzehnten. In chronologischer Reihenfolge vermittelte der Althistoriker am Beispiel dieser Bücher dem Publikum die Entwicklung des Germanenbildes von der Entdeckung der Germanen im Humanismus des 16. Jahrhunderts bis hin zum Nationalsozialismus. Er verdeutlichte, dass die Germanen noch in der Kaiserzeit am Ende des 19. Jahrhunderts durch antike Quellen als gering entwickelt, aber tugendhaft dargestellt wurden. Während der Weimarer Republik wandelte sich diese Darstellung beziehungsweise Interpretation. Die Quellen, die es über die Germanen gab, wurden aufgewertet. Der Stellenwert, den die Kultur für die Germanen hatte, stieg nach dieser neuen Interpretation der Quellen. Diese Unterschiede veranschaulichte der Althistoriker anhand zweier Darstellungen der Germanen in Geschichtsbüchern aus der Kaiserzeit sowie aus der Weimarer Republik. Beide Darstellungen verdeutlichten, die Veränderung des Germanenbildes.
Später erklärte der Referent, dass sich auch die Weltanschauung zur Herkunft der Germanen von „Ex oriente lux“ (Licht aus dem Osten) zu „Ex septentrione lux“ (Licht aus dem Norden) veränderte. Letzteres wurde vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus vermittelt. „Ex septentrione lux“ geht auf den Dreißigjährigen Krieg zurück, als die Protestanten sich Rettung von den Schweden erhofften. Später wurde daraus eine rassistische und nationalistische Weltanschauung, der sich auch die Nationalsozialisten bedienten.
Es sollte damit gezeigt werden, dass der Ursprung der Kultur nicht im Orient, sondern im angeblich arischen Norden Europas lag. Hieraus wurde schließlich auch das Nazi-Idealbild des Deutschen abgeleitet, dass sich von anderen Rassen unterscheidet. Gleichzeitig besagt jene Weltanschauung, dass die Deutschen als die reinsten Erben der Germanen gelten. Die geschichtliche Entwicklung verknüpfte Sievertsen mit der Entwicklung der Vermittlung des Germanenbildes. So ging er unter anderem auch auf die christlich-germanische Geschichtspädagogik und die verschiedenen Konzepte, wie diese vermittelt wurde, ein. Zur Verdeutlichung las Sievertsen seinen Zuhörern sogar einen Abschnitt aus Unterrichtswerken, die zur Vermittlung des Germanenbildes dienten, vor.
Schlussfolgernd stellte Sievertsen fest, dass die Germanen immer als großer Teil der Deutschen Geschichte akzeptiert wurden. Jedoch hätte man für die Darstellung der Germanen in Schulbüchern, diese auch aus der Perspektive von anderen Ländern betrachten müssen, so der Althistoriker.
Rund 150 Zuhörer waren gekommen um sich diesen durchaus interessanten, in einigen Passagen aber sehr komplexen Vortrag anzuhören. Im kommenden Jahr feiern die Auricher Wissenschaftstage ihr 25-jähriges Jubiläum.
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