Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 19. Februar 2014, S. 4 [1]
Von Karin Baumann
Prof. Federico Foders machte deutlich: Lernen wird künftig nicht nach der Jugend abgeschlossen sein. (Foto: kab)
Aurich. Nur weil eine Gesellschaft überaltert, kann man nicht an der Bildung sparen. Vielmehr muss das Bildungssystem grundlegend umgebaut werden. Das war die Kernthese des Vortrags von Prof. Federico Foders über „Demografie und Bildung“ bei den Auricher Wissenschaftstagen. Am Montagabend sprach der gebürtige Argentinier im Auricher Güterschuppen vor knapp 200 Zuhörern.
Statt Kindergärten und Schulen zu schließen und die Bildungsausgaben zurückzufahren, müsse das Gegenteil geschehen, forderte der Wissenschaftler vom Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel. Denn Deutschland glänze mit seinem Knowhow in Anlagenbau und Veredelungswirtschaft und stehe damit weltweit immer noch bestens da. Das lasse sich aus dem Ansehen deutscher Marken und den Patentanmeldungen ersehen.
Das Problem: Dieser wirtschaftliche Erfolg beruhe allein auf dem Standortfaktor Mensch. Nur gut ausgebildete Arbeitskräfte könnten den Wohlstand auf Dauer sichern. Wie jeder wisse, altere die Bevölkerung. Foders demonstrierte mit Grafiken, dass diese Entwicklung sich dramatisch auswirken wird. Die Alterspyramide werde bis 2060 im Kurvenverlauf immer mehr zum zylindrischen „Döner Kebab“, scherzte Foders.
Das deutsche Bildungssystem sei immer noch nicht auf diese Veränderungen eingestellt, sondern zugeschnitten auf eine Bevölkerung, die mehrheitlich aus unter 30-Jährigen besteht. Bisher sei es so, dass der erste Teil des Lebens in Schule und Ausbildung der Qualifizierung diene und dieser Aspekt mit Erreichen des Erwerbslebens erheblich zurückgefahren werde. Foders fordert grundlegende Veränderungen. Zum einen müssten ältere Arbeitnehmer länger im Arbeitsmarkt gehalten werden. Durch Zuwanderung allein lasse sich der Fachkräftemangel nicht ausgleichen, so seine Einschätzung. Irgendwo sei die Akzeptanz in Deutschland da auch am Ende, meinte er.
Also müsse man die „vorhandene Bevölkerung optimal einsetzen“ – auch die Älteren. Noch gebe es die Tendenz, ältere Arbeitnehmer früh auszusortieren, weil diese in ihren Kenntnissen nicht mehr auf dem neuesten Stand seien wie ihre jüngeren Konkurrenten. Doch es sollte gerade im Interesse der Jungen sein, die älteren Kollegen in der Wertschöpfungskette zu halten, statt für sie Renten zu zahlen. Derzeit müsse jeder Arbeitnehmer 1,27 Menschen durch sein Einkommen ernähren. 2027 seien es schon 1,47. Der Ökonom schlägt vor, von etwa 20 bis 70 Jahren voll erwerbstätig zu sein, bis zum Alter von 75 wird die Arbeitszeit stufenweise auf null gesetzt.
Dem Problem der veraltenden Fachkenntnisse möchte Foders durch lebenslange Bildung begegnen. Schon jungen, gut ausgebildeten Leuten müsse man sagen: „Du bist jetzt fit, aber nächste Woche schon nicht mehr.“
Die Schule umschrieb der Referent dabei als Ort, wo selbstständiges Lernen gelernt werde. Ebenso wichtig sei eine kontinuierliche Weiterbildung. Jeder Arbeitnehmer könne dazu ein Bildungskonto bekommen, auf das er selbst, gegebenenfalls aber auch als Anreiz der Arbeitgeber oder der Staat einzahlen könnten. Von diesem Konto sei Weiterbildung für jeden finanzierbar. Dass Geringverdiener mit dieser Individuallösung weiter ins Hintertreffen gelangen könnten, thematisierte er nicht.
Foders wies einerseits darauf hin, dass Wissen heute weniger koste. Jeder könne sich im Internet günstig informieren. Dennoch setzten fast ausschließlich Höherqualifizierte auf Weiterbildung und investierten freiwillig Zeit. Diese „Krankheit des Bildungsdurstes“ habe „wunderbare Auswirkungen auf die Gesellschaft“, müsse sich allerdings ausbreiten. Andererseits sagte der 64-jährige Professor, dass beispielsweise hoch qualifizierte Frauen sich nicht an Haushaltstätigkeiten aufreiben, sondern dafür Geringqualifizierte und eventuell auch Zugewanderte einstellen sollten. Ein Mindestlohn sollte nach Ansicht des Ökonomen an die Bereitschaft zur Weiterbildung geknüpft sein.
Auch wenn die Grundlagen von Foders Vortrag und seine Schlussfolgerungen alles andere als neu waren, wurde im Anschluss intensiv diskutiert. Manche befürchteten eine Verknappung von Bildung auf ökonomisch verwertbare Inhalte. Andere fragten, inwieweit er die Abnahme der Fruchtbarkeitsrate mit steigender Bildung für problematisch halte.
Zuvor hatte die Ulricianerin Sophia Norda über ihr Praktikum im Rahmen der Wissenschaftstage beim Europapolitiker Matthias Groote (SPD) in Brüssel und Leer berichtet.
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