Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 2. Mai 2013, S. 6 [1]
Prof. Gerhard Wolf: „Kunst ist eine Verflechtung von Geist und Materie. Diese Verbindung darf nicht auseinander-dividiert werden.“ (Foto: Frerichs)
die Anrieh. Viele der über 100 Zuhörer des letzten Vortrages der diesjährigen Auricher Wissenschaftstage werden am Montagabend lange über ihr bisheriges Kunstverständnis nachgedacht haben.
Prof. Dr. Gerhard Wolf, Leiter des Kunsthistorischen Instituts des Max-Planck-Instituts in Florenz, sprach im Auricher Güterschuppen zum Thema „Dinge, Bilder, Orte. Perspektiven einer kunstgeschichtlichen Ökologie“.
Da der Forschungsbereich Kunstgeschichte noch sehr jung sei, finde man dort sehr viele interessante Diskussionen und Meinungen vor, so Prof. Dr. Wolf. Ihm geht es insbesondere um Formen des Zusammenspiels von Kunst und Natur. „Kunst ist eine Verflechtung von Geist und Materie. Diese Verbindung darf nicht auseinanderdividiert werden.“
Bei dem Aspekt der Ökologie gehe es zum Beispiel darum, wie sich Architektur in die Landschaft stelle und wie Objektkultur die Natur verändere. Wichtig hierbei ist, dass man nicht nur das Ergebnis sehen dürfe, sondern Monumenten und Bildern eine Biografie geben müsse. Die Entstehung sei schon Kunst. Wenn Bilder experimentell angeschaut würden, werde die Verbindung zwischen Kunstcharakter und technischen Fertigkeiten spannend. Wolf sagte: „Kunst ist die Erfindung neuer Techniken.“
Er referierte intensiv über den Mittelmeerraum, der als Kulturraum viel älter als das kontinentale Europa ist. Während man es in Europa mit einem Nebeneinander zu tun habe, gebe es am Mittelmeer ein Gegenüber. Die dadurch mögliche Orientierung zur anderen Seite führte zu Experimenten und Brüchen mit dem Bisherigen. Viele Objekte wurden „mobil“ und erlaubten nach einem Transport den Blick auf andere Kulturen.
Häufig war man auch der Meinung, dass Architektur aus dem Mittleren Osten in Europa besser aufgehoben sei. Diese mobile Architektur ist heute, so Wolf, ein kunstökologisches Problem, weil sie zu vielfältigen kulturellen Überlagerungen geführt hat. „Objekte haben Storys", sagte Wolf. „Aber wenn deren eigentliche Geschichte uninteressant wurde, wurde sie den aktuellen Vorstellungen angepasst.“
Hier stellte Wolf Venedig als besonderes Beispiel vor: „Venedig hat keine Geschichte. Venedig ist auf Nichts gebaut. In Venedig wird nur die Geschichte anderer Städte gesammelt. Alles in Venedig ist mobil.“
Bei der Mobilität müsse aber auch gefragt werden können, ob wirklich die Objekte transportiert wurden oder ob nicht die Künstler mobil waren und zum Beispiel ihre östliche Kunst in Europa hergestellt haben.
Abschließend ging Prof. Wolf auf einen Schwerpunkt seines wissenschaftlichen Arbeitens, das künstlerische Gestalten religiöser Dinge ein. Als einmaliges Beispiel nannte er das Mosaik im Katharinenkloster auf Sinai, in dem mit einer laut Wolf fantastischen Technik der Gesteinsanordnung die Propheten Moses und Elias und die beiden Berge als Orte ihres Handelns durch Christus zu einer Einheit verbunden werden. Viel beschäftigt sich Wolf auch mit Ikonen. „Ikonen erzählen keine Geschichten. Ikonen versuchen etwas, was gar nicht geht, nämlich Göttliches darzustellen", sagte Prof. Wolf, „auf Ikonen werden die Grenzen des Darstellbaren deutlich.“
Der Betrachter solle über das Bild in dem Bild nachdenken und erkennen, dass das, was ihm vor Augen gestellt werde, gar nicht gehe und nur Einbildung und Information sei.
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