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Auricher Wissenschaftstage –
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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 4. März 2013, S. 6 [1]

Physiker Tolan räumte mit „Titanic“-Mythen auf

Vortrag der Auricher Wissenschaftstage bildete und unterhielt gleichermaßen: Bei Geschichten über das gesunkene Kreuzfahrtschiff ist vieles Quatsch

Foto vom Vortrag Prof. Dr. Metin Tolans bei den 23. Auricher Wissenschaftstage 2013, 23 k

Mit Schaubildern und Filmausschnitten ergänzte Metin Tolan seinen Vortrag im Güterschuppen. (Foto: Freudenthal)

jof Aurich. Amüsant wurde es bei Physikprofessor Metin Tolan von der Technischen Universität Dortmund. Für die Auricher Wissenschaftstage hielt er am Freitagabend im Güterschuppen den Vortrag „Titanic – Mit Physik in den Untergang“. Das Thema ist auch der Titel eines seiner Bücher. Ebenfalls geschrieben hat er „Geschüttelt, nicht gerührt: James Bond und die Physik“ und „So werden wir Weltmeister: Die Physik des Fußballspiels“.

Der Physiker Tolan brachte sein Publikum oft zum Lachen – dabei halfen ihm witzige Filmausschnitte, Grafiken und Kommentare. „Die Themen meiner Bücher sind nicht meine normale Arbeit an der Uni“, erklärte Tolan, „das ist quasi mein Hobby.“

Gewürzt mit Filmausschnitten aus dem berühmten Film „Titanic“ von James Cameron mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen, erläuterte Prof. Tolan die physikalischen Vorgänge, die hinter dem Schiffsunglück von 1912 stecken. „Über den Untergang haben sich viele Mythen gesponnen, die ich aufklären werde“, sagte Tolan.

Einer dieser Mythen sei, dass die Reederei mit der „Titanic“ in das Rennen um das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantiküberquerung gegangen sei. „Völliger Quatsch“, meint Tolan. „Die Höchstgeschwindigkeit der ,Titanic‘ hätte nie gereicht, um die ,Mauretania‘ zu schlagen. Diese konnte den Atlantik um einen ganzen Tag schneller überqueren. Die ,Titanic‘ war vollkommen auf Luxus ausgelegt.“

Die „Titanic“ sei auch nicht zu weit nördlich unterwegs gewesen. Sie sei deutlich südlicher gefahren als die übliche Nordroute für den Sommer. Außerdem habe die „Titanic“ nicht zu wenig Rettungsboote an Bord gehabt. Sie reichten zwar nicht für alle Passagiere – aber es wären mehr gewesen, als das damalige Gesetz vorgeschrieben hätte.

Um den Untergang verstehen zu können, müsse man erst einmal wissen, warum Schiffe überhaupt schwimmen können, so Tolan. Er erläuterte, dass Wasser auch eine Auftriebskraft habe, die die Schwerkraft ausgleiche. Die Auftriebskraft sei so groß wie das Gewicht des verdrängten Wassers. So könne man auch das Gewicht von Schiffen bestimmen, da dieses so groß sei wie die Masse des verdrängten Wassers.

Professor Tolan zeigte die bekannte Filmszene, in der Winslet und DiCaprio mit ausgestreckten Armen am Bug der „Titanic“ stehen. Er schloss die Frage an: „Wieso sind Sonnenuntergänge so romantisch?“ Dazu erklärte er die blaue Farbe des Himmels: Die Sonnenstrahlen hätten verschiedene Farben, die durch die Luftmoleküle gestreut würden. Die blauen Lichtstrahlen verteilten sich bei hoch stehender Sonne am besten. Bei tief stehender Sonne würden die blauen Strahlen allerdings „weggestreut“, sodass das übrige Licht rötlich erscheine.

Danach kam Metin Tolan auf den Unglücksverursacher zu sprechen: Den Eisberg. Zunächst erklärte er, wie in Grönland Eisberge entstehen. Durch den Druck der Eismasse auf das Gestein Grönlands beginne dort das Eis zu schmelzen. Berge von Eismassen würden so abbrechen. Dieser Vorgang dauere etwa drei Jahre, der verhängnisvolle Eisberg sei also etwa zu der Zeit entstanden, als die „Titanic“ gebaut wurde. Tolan wies ebenfalls darauf hin, dass sich sechs Siebtel eines Eisberges unter Wasser befänden. Der Berg schmelze unter Wasser, sodass sich sein Schwerpunkt regelmäßig verlagere und er etwa alle drei Tage umkippe.

Doch warum hat niemand den Eisberg in der Nacht des 14. April 1912 gesehen? Weder der Ausguck noch die Offiziere auf der Brücke? Nachts erkenne man Eisberge vor allem an den weißen Schaumkronen der Wellen, die sich an ihnen brechen. In der fraglichen Nacht war kaum Wellengang. Trotzdem hätte er erkannt werden müssen, da die Nacht sehr klar war. Doch der Eisberg wurde erst auf 300 Meter Entfernung gesichtet. Tolan vermutet, dass der Berg nicht weiß gewesen sei. Die weiße Farbe entstehe, weil das Licht von den Luftbläschen im Eis reflektiert werde. Wenn das Eis – allerdings in seltenen Fällen – nur wenig Luftbläschen enthalte, werde das Licht absorbiert und nur wenig reflektiert. Diese wenigen Lichtstrahlen erschienen dann blau. Einen blauen Eisberg könne man in der Nacht kaum erkennen, so Tolan.

Doch wie konnte das für unsinkbar gehaltene Schiff auf seiner Jungfernfahrt untergehen? Die „Titanic“ war durch 15 Schotts, die durch die Decks liefen, unterteilt. Es gab also 16 wasserdichte Abteilungen. Wenn vier Abteilungen vollgelaufen wären, hätte es keinen Untergang gegeben. Allerdings drückte der Eisberg bei der Kollision mit der „Titanic“ die durch Nieten befestigten Stahlplatten auf einer Länge von sechs Abteilungen auf. Die Nieten konnten dem Druck nicht standhalten, und es entstanden sehr kleine Löcher. „Hätte die ,Titanic‘ den Eisberg frontal gerammt, wären maximal zwei bis drei Abteilungen vollgelaufen und sie wäre nicht gesunken“, erzählte Tolan.

Insgesamt sei das Leck nur etwa einen Quadratmeter groß gewesen. Prof. Tolan erklärte, wie man dies anhand des steigenden Wassers im Schiff berechnen konnte. Die Torricelli-Kraft besage, dass Wasser in der gleichen Geschwindigkeit in das Leck einströme, wie es bei entsprechender Höhe herunterfallen würde. Da sich das Leck der „Titanic“ sieben Meter unterhalb des Wasserspiegels befand, wären demnach 12,6 Kubikmeter Wasser pro Sekunde eingedrungen. Daraus konnte errechnet werden, wie lange sich die „Titanic“ über Wasser halten konnte.

Tolan wies darauf hin, dass das Schiff „optimal sank“. „Normalerweise bekommt ein Schiff bei einem Leck Schlagseite und kippt sehr schnell um. Die Besatzung der ,Titanic‘ benutzte die Pumpen an Bord aber nicht zum Herauspumpen des Wassers. Vielmehr verteilten sie es gleichmäßig in den Abteilungen, damit die ,Titanic‘ stabil blieb und so viele Menschen wie möglich gerettet werden konnten.“ Er fügte hinzu: „Das beweist, dass an dem Mythos, die Crew sei im Chaos überfordert gewesen, nichts dran ist.“

Das gleichmäßige Absinken des Schiffes hätte dann aber auch zur Folge gehabt, dass das Heck in die Luft gehoben wurde und die „Titanic“ schließlich unter dem gewaltigen Druck auseinanderbrach.

Auch ein weiterer Mythos stimme nicht. Im Film werde gezeigt, dass die „Titanic“ beim Untergang einen Sog entwickelte, der Menschen mit nach unten riss. „Da das Schiff aber laut Augenzeugenberichten sehr langsam sank, kann kein Sog entstanden sein“, so der Referent. „Die ,Titanic‘ lief komplett mit Wasser voll, sodass keine Luft im Schiff mehr vorhanden war, die einen Sog hätte auslösen können.“

Zum Schluss kam der Physiker wieder auf den Film zurück: „Wieso erfror Leonardo DiCaprio eigentlich im null Grad kalten Wasser, während Kate Winslet eine Stunde in der null Grad kalten Luft überlebte?“ Die Erklärung lieferte er mit dem Wärmeübergangskoeffizienten. Da Wasser eine höhere Dichte als Luft habe, entziehe das Wasser dem Körper viermal mehr Wärme als die gleich kalte Luft.

Metin Tolan verabschiedete sich vom begeisterten Publikum mit einem Videozitat von Guido Westerwelle. Auf die Frage, warum er „Gesundheit und Glück“ wünsche, antwortete Westerwelle: „Die Menschen auf der ,Titanic‘ waren gesund, hatten aber kein Glück.“

Vor Metin Tolans Vortrag berichteten die Schülerinnen des Gymnasiums Ulricianum Hannah Gelhaus und Ute Henze von ihrem Praktikum an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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