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Auricher Wissenschaftstage –
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Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 4. Juni 2012, S. 4 [1]

Der Engelskreis der Demokratie

Letzter Vortrag der 22. Auricher Wissenschaftstage beschäftigte sich mit dem Thema Verantwortung

Von Heino Hermanns

Foto von der Veranstaltung im Güterschuppen, 26k

Prof. Nikolaus Knoepffler vom Ethikzentrum der Universität Jena wollte klären, wer im Staat für was verantwortlich ist. (Fotos: Hermanns)

Aurich. Mit einem Ethik-Vortrag endeten am Freitagabend die diesjährigen Auricher Wissenschaftstage. „Der mündige Bürger und sein Staat. Wer verantwortet was?“ hatte Prof. Dr. mult. Nikolaus Knoepffler sein Referat überschrieben. Das sei eigentlich ein einfaches Thema, zu dem man viel sagen könnte oder auch nichts, meinte Knoepffler. Er entschied sich dann für die erste Variante und nahm die Zuhörer mit auf eine Reise unter anderem durch die Theorien von Immanuel Kant. „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, zitierte Knoepffler den Königsberger Philosophen. Daraus ergebe sich, dass man Mündigkeit definieren könne als Abgrenzung von der Bevormundung durch andere, so Knoepffler. Als Ziel der Mündigkeit hätte Kant gefordert, dass man immer so handeln müsste, dass dieses Handeln allgemeine Gültigkeit haben könne.

Leichter sei es für den Menschen, die Unmündigkeit zu wählen. „Der Pfaffe, die Mutter, der Lehrer haben es gesagt“ seien Sätze, die man des Öfteren höre. „Der eine braucht 17, der andere 70 Jahre bis zur Mündigkeit“, meinte Knoepffler. Wichtig sei sie aber, da sich eben aus der Mündigkeit Menschenrechte und Menschenwürde erst ergeben würden.

Die Frage nach der Verantwortung ist nicht leicht, das wurde im Vortrag des Ethikers schnell deutlich. Denn es geht nicht nur um die Frage, wer Verantwortung trägt. Von Belang ist auch, wann, wofür, vor wem, weswegen, wie Verantwortung getragen wird. Denn es macht einen Unterschied, ob man sich gegenüber der eigenen Familie oder vor Gericht verantworten muss, ob man verantwortlich ist für Handlungen oder Unterlassungen. „Gerade durch Unterlassungen kann man genauso schuldig werden wie durch Handlungen“, sagte Knoepffler und weicht damit von der vorherrschenden Lehrmeinung ab. Die Ausrede „Das konnte ich gar nicht wissen“ lässt er nicht gelten. „Wer unbedingt Super E10 tanken will, muss sich nicht wundern, wenn dafür Regenwälder abgeholzt werden“, sagte der Ethiker. Er ging sogar noch einen Schritt weiter: Auch für unvorhersehbare Folgen des eigenen Handelns ist man seiner Ansicht nach verantwortlich, und zwar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

„Die Mündigkeit ist die Basis einer funktionierenden Demokratie“, folgerte der Ethiker, die Verantwortung der Bürger ergänze sich mit der zentralen Verantwortung des Staates (Gesetzgebung) im günstigsten Fall zu einem „Engelskreis“. Heißt einfach ausgedrückt: Der mündige Bürger wählt verantwortungsvolle Politiker, die mit ihren Gesetzen wiederum dafür sorgen, dass es weiterhin mündige Bürger gibt. „Wenn da was schiefläuft, haben wir einen Teufelskreis“, beschrieb Knoepffler die Zerbrechlichkeit der Demokratie.

Die zentrale Verantwortung des Staates sei es, moralische Forderungen in Gesetze zu überführen. Diese seien der Garant dafür, dass der Staat sich nicht abhängig macht vom Gewissen einzelner Bürger. Das gelte auch für Politiker. Diese dürfen laut Knoepffler nicht nach ihrer persönlichen moralischen Integrität bemessen werden. „Es ist egal, welche Freunde er hat oder wie oft er verheiratet war“, sagte er in Anspielung auf die ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff und Gerhard Schröder.

Aber es gibt Fallstricke, auch wenn alle Bedingungen für den „Engelskreis“ erfüllt sind. Denn „es kann auch etwas falsch sein, wenn alle es für richtig halten“, sagte Knoepffler. Wahrheit sei nun einmal nicht demokratisch abstimmbar. Wichtig sei auch immer, daran zu denken, dass es andere gibt, die anders denken.

Und auch das „Wegschauen von Bürgern und Staaten“ in globaler Verantwortungslosigkeit sei noch nicht gelöst. Nahrungsknappheit, Klimaänderung und Gesundheitsversagen zeigten, dass staatliche Egoismen statt globaler Verantwortung vorherrschten.

Wie kann man nun Bürger zur Verantwortung erziehen? „Skat oder Altpapier sammeln in der Schule verpflichtend anbieten“, lautete die verblüffende Antwort von Knoepffler. Irgendetwas, wo Kinder altersgerecht Verantwortung im Team übernehmen müssen. „Sie müssen in der Grundschule nicht wissen, wie Lokalpolitik funktioniert, in der 12. Klasse aber schon“, meinte er. Zudem müsse mehr Leuten ermöglicht werden, sich in der Politik zu engagieren, damit der Wähler mehr Auswahl habe. Hier gute Rahmenbedingungen zu schaffen, liegt wieder in der Verantwortung des Staates.

Anmerkung

[1]

Ein Scan des Artikels ist ebenfalls verfügbar.

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