Artikel der Ostfriesischen Nachrichten vom 8. Februar 2012, S. 5 [1]
David McAllister gestern beim Besuch der Fachschule Lasertechnik in Aurich. Foto: Banik
Aurich. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister hat gestern Abend die Auricher Wissenschaftstage eröffnet (siehe auch Bericht Seite 1). Er hält sie für ein gutes Angebot, wie man Schule stärker erlebbar und an die spätere Berufswelt ankoppeln kann. Und dass Forschung, auf diese Weise vermittelt, auch sehr viel Spaß machen kann, hebt der Landesvater in diesem Interview deutlich hervor. Insofern habe das Angebot Vorbildcharakter im Lande.
ON: Herr Ministerpräsident, warum besuchen Sie die Auricher Wissenschaftstage?
David McAllister: Weil sich hier in Ostfriesland eine Menge tut. Die Auricher Wissenschaftstage gibt es seit nunmehr 21 Jahren. Ihre Bedeutung reicht inzwischen weit über die Grenzen Ostfrieslands hinaus. Sie werden inhaltlich und organisatorisch von Lehrkräften der BBS Aurich und dem Gymnasium Ulricianum sehr gut vorbereitet und durchgeführt. Dafür sage ich allen Beteiligten Dank. Die Wissenschaftstage sind inzwischen eine echte Erfolgsgeschichte. Schüler erhalten die Möglichkeit, an Forschungsprojekten teilzunehmen und über ihre Erfahrungen zu berichten. Sie erleben Wissenschaft hautnah. Wissenschaftler kommen hierher nach Aurich und stellen ihre Forschungsthemen vor.
ON: Worin sehen Sie die besondere Bedeutung der Wissenschaftstage?
McAllister: Der Verein Deutscher Ingenieure hat im zurückliegenden Jahr ermittelt, dass in Deutschland 66000 Ingenieure fehlen. Vor einem sich immer mehr verschärfenden Fachkräftemangel kann man daher nicht deutlich genug warnen. Das betrifft auch andere Wirtschaftsbereiche. Es ist daher wichtig, dass schon die Schulen die Grundlagen für die naturwissenschaftlichen und die ingenieurwissenschaftlichen Ausbildungs- und Studiengänge legen.
Wie gut dieses hier in Aurich gelingt, kann man an der guten Resonanz der Wissenschaftstage ablesen. Hier werden Schüler an Wissenschaft herangeführt und insbesondere für Technologie und Forschung begeistert.
ON: Gibt es Beispiele, die Ihnen besonders positiv aufgefallen sind?
McAllister: Nur drei aus den vergangenen Jahren will ich nennen: In der biologischen Anstalt Helgoland haben Auricher Schüler Plankton-Arten unter das Mikroskop genommen. Eine andere Schülergruppe hat im Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen viel über die komplizierte Genetik von Fischen erfahren.
Und im Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg haben Auricher Schüler den Effekt der Synchrotronstrahlung im Teilchenbeschleuniger erleben können. Mir zeigen diese Beispiele: Jugendliche sind von Natur aus neugierig. Sie möchten Antworten bekommen auf die Frage, was ihnen die Zukunft persönlich bringen wird. Was liegt also näher, als sie selbst an der Erarbeitung fundierter wissenschaftlicher Untersuchungen zu beteiligen und sie aktuelle Forschungstrends sowie zukunftsträchtige Berufe erleben zu lassen.
ON: Mit Blick auf den allseits wahrnehmbaren Klimawandel geht es bei den Wissenschaftstagen also um hochaktuelle Fragestellungen …?
McAllister: In der Tat. In den vergangenen Jahrzehnten haben extreme Wetterereignisse aufgrund der globalen Klimaerwärmung weltweit zugenommen. Forscher unterschiedlicher Disziplinen können die Frage, ob große Flutkatastrophen oder die steigende Erwärmung der Erdatmosphäre auf einen generellen Klimawandel hinweisen, bis heute nicht endgültig beantworten. Wir wissen aber, dass sich unser Klima spürbar deutlich verändert. Wissenschaftler rechnen mit der Anhebung der Meeresspiegel. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf alle Küstenregionen – also auch für Ostfriesland.
ON: Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Umweltgefährdung und Bildung?
McAllister: Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Die wichtigste Ressource, die wir in Deutschland haben, ist und bleibt die Bildung. Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, brauchen wir kluge Köpfe und innovative Ideen. Eine gute Bildungslandschaft mit optimalen Rahmenbedingungen ist eine Investition in die Zukunft. Nur wenn wir gut ausgebildete junge Menschen haben, die innovativ denken und die Forschung voranbringen sowie „intelligente Produkte" entwickeln, kann der hohe Lebensstandard von heute auch morgen noch erhalten bleiben. In Aurich hat man dies früh erkannt.
ON: Wie werden denn die Jugendlichen konkret für die Herausforderung Klimawandel sensibilisiert?
McAllister: Auch hier nenne ich drei Beispiele: Im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung haben Schüler aus Aurich die Erforschung des Treibhauseffekts anhand der Untersuchung von Gletschereiskernbohrungen begleitet. Auf dem Forschungsschiff „Polarstern" haben die Jugendlichen Bodenproben entnommen, mit Kameras den Meeresboden in über 2000 Meter Tiefe gesehen und das Wetter mit Heißluftballons beobachtet. Und auf dem Meeresforschungsschiff „Meteor“ haben Schüler die Zirkulation und die Transportschwankungen des Tiefenwassers im Nordatlantik beobachtet.
Klimaforschung hautnah zu erleben – das motiviert viele junge Leute, sich auch für den Klimaschutz einzusetzen. Und: Viele Jugendliche werden auf diese Weise motiviert, ein naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen.
ON: Was tut die Landesregierung dafür?
McAllister: Niedersachsen ist auf einem guten Weg. Wir haben gute und engagierte Lehrkräfte. Zurzeit gibt es mit insgesamt über 87000 Lehrern an allen Schulen Niedersachsens so viele Lehrer wie noch nie in der Geschichte des Landes.
Wir haben ein gut differenziertes leistungs- und begabungsgerechtes Schulsystem, in dem kein Kind verloren geht und alle Ressourcen ausgeschöpft werden. Mit der neuen Oberschule entwickeln wir unser Schulwesen zielgerichtet weiter. Mit jährlich rund acht Milliarden Euro wird das Land 2012 und 2013 so viel Geld in Bildung, Wissenschaft und Forschung investieren wie nie zuvor.
ON: Sehen Sie die Auricher Wissenschaftstage als eine Art Modell für andere Regionen?
McAllister: Gewiss! Diese Wissenschaftstage zeigen uns immer wieder, dass Forschung Freude bereiten und Begeisterung auslösen kann, bei Lehrkräften wie bei Schülern. Das Staunen über das Unbegreifliche und der Drang, das Verborgene hinter dem Sichtbaren zu entdecken, ist der Beginn allen Forschens. Das gilt für Kinder wie auch für Wissenschaftler. Sie haben eines gemeinsam: Sie sind neugierig, wollen das scheinbar Unerforschbare ergründen und lassen nicht locker, bis selbst schwierigste Fragen beantwortet sind. Nach diesem Vorbild wird sich Schule weiterentwickeln müssen. Nur so wird sie den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht. Die Richtung wird in Aurich vorgegeben. Die Wissenschaftstage erweisen unserem Land einen wichtigen Dienst.
Ein Scan des Artikels ist ebenfalls verfügbar.