Notwendig ist ein offener, kritischer, ideologiefreier und transparenter Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, nämlich die von C. P. Snow geforderte dritte Kultur.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend sind zentrale Bildungsziele der gymnasialen Oberstufe, wie die Ausbildung einer Persönlichkeitskompetenz in sozialer Verantwortung und die bewusst verantwortete Mitgestaltung des öffentlichen Lebens auf der Grundlage einer verstandenen dritten Kultur zukunftsorientiert zu verwirklichen. Eine breite und von Sachkenntnis getragene Auseinandersetzung mit Wissenschaft, Technik und ihren verantwortbaren Folgen, soweit diese eine Zukunftsschärfe ermöglicht, erzwingt einen überregionalen bzw. einen internationalen Konsens.
Eine Offenheit des Denkens führt zu einer Stabilisierung der Gesellschaft, weil eine Manipulierbarkeit der Menschen, wie in totalitären Systemen, unwahrscheinlich wird. Der Prozess einer Entscheidungsfindung, z. B. für oder gegen eine Studienentscheidung setzt bei den Lernenden einen Fragenkomplex frei, bei dem das „Sich-ein-Bild-Machen“ zentral mitentscheidet. Die Einsicht, dass der einsame Wissenschaftler an seinem Labortisch einer Initialzündung nachgeht, ist Teil der Wissenschaftsgeschichte.
Der gegenwärtige junge Mensch ist Teil einer kooperativen Auseinandersetzung in der Schule und seiner individuellen und kognitiven Fähigkeiten entsprechenden Findung in außerschulischen Lernorten, wie Forschungsinstituten mit deren Wissenschaftlern. Diese verantwortlich Beteiligten werden dialogisch aus unterschiedlichsten Zugängen emotional, sachlogisch und politisch entscheiden und verantworten. Grundsätzlich müssen alle das Forschungsziel auf ihre Weise verstanden haben.
Aber müssen wir denn die moderne Welt verstehen? Hierauf antwortete Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß im Jahr 1999 auf den Auricher Wissenschaftstagen: „Eine Welt, die sich selbst nicht mehr versteht, ist keine rationale Welt mehr … Sie wäre eine Welt, die in einen Zustand zurückkehrt, den sie mit der mythischen Welt teilen würde.“
Um den Bildungsauftrag zeitgemäß erfüllen zu können, wird sich das Verständnis von Schule wandeln. Moderne Gesellschaften benötigen einen glaubwürdigen Dialog zwischen Schule, Forschung, die sich als Teil unserer Kultur versteht, und der Öffentlichkeit. In Aurich wird dieser Dialog seit über 20 Jahren in dem Schulprojekt
Auricher Wissenschaftstage – Forum einer dritten Kultur
umgesetzt. Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler arbeiten im Rahmen des Stipendiatenprogramms in der Regel mehrere Wochen mit Wissenschaftlern prozessorientiert in Forschungszentren zusammen und berichten in Aurich öffentlich darüber. Wissenschaftler werden im Rahmen des Referentenprogramms nach Aurich eingeladen und berichten vor Schülern und einer interessierten Öffentlichkeit ergebnisorientiert über ihre Forschungsarbeiten.
Am Ende seines Vortrags am 21. April 2006 stellte Dr. Heinrich Rohrer, Nobelpreisträger für Physik im Jahr 1986, vor ca. 220 Zuhörern im Auricher Güterschuppen die Fragen: „Will ich das als Wissenschaftler aber machen? Darf sich eine Gesellschaft das leisten?“
Der Diskurs ist unsere Verpflichtung.
Prof. Dr. Manfred Eigen, Nobelpreisträger für Chemie, sagte auf der Abschlussdiskussion der 50. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau im Jahr 2000: „90-99% unserer Vorstellung erweisen sich als falsch, es ist mehr Hoffnung dabei, als Ergebnisse. Wahr ist, dass wir nicht wissen, was wir nicht wissen.“
Josef Antony – Claudia Groen – Wolfgang Völckner
(Organisationsteam der Auricher Wissenschaftstage)