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Auricher Wissenschaftstage –
Forum einer dritten Kultur

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Grußwort der
Präsidentin der Klosterkammer Hannover
Prof. Martha Jansen
zur Eröffnung der 13. Auricher Wissenschaftstage
am 5. November 2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schülerinnen und Schüler,
Herr Oberkreisdirektor,
sehr geehrte Herren Organisatoren (Antony, Stracke, Völckner)
und Schuldirektoren (Risius und Neumann)
Herr Prof. Beutelspacher,

die Auricher Wissenschaftstage, zum 13. Mal finden sie statt und beweisen damit ihre Qualität und ihren Erfolg, sind mehr als nur ein lokales oder regionales Ereignis.

Natürlich erlauben wir uns zunächst einmal als Ostfriesinnen und Ostfriesen an allererster Stelle den Hinweis, was wir mit diesem „Forum der dritten Kultur“ wieder einmal für ein „pfiffiges" Projekt „auf die Beine gestellt" haben. Das bescheidene Selbstlob sei uns vergönnt. Immerhin weiß es inzwischen die ganze Republik, was hier passiert. „Die Zeit“, die Pflichtlektüre für die Gebildeten in unserer Republik oder die, die es werden möchten, hat die Kunde von den Auricher Wissenschaftstagen bis in den letzten Winkel getragen: „Ostfriesische Erfolgsmischung" titelt „Die Zeit" und schafft damit eine gekonnte Parallele zu unserem unbestritten bekanntesten (und besten!!) Produkt, der „Ostfriesischen Blattmischung“.

Ich schließe mich gerne der journalistischen Bewertung an und möchte Ihnen als Ostfriesin, als Niedersächsin und als Vertreterin einer der bedeutendsten öffentlich-rechtlichen Stiftungen Deutschlands ganz herzlich zu diesem Projekt gratulieren. Mögen auch die 13. Auricher Wissenschaftstage für die beteiligten Schülerinnen und Schüler, Institutionen, Betreuer und Organisatoren so spannend, kommunikativ und ertragreich verlaufen wie die zwölf vorangegangenen.

Für die Klosterkammer Hannover, eine der Einrichtungen, die dieses Projekt und speziell das Stipendiatenprogramm fördern, ist an dem Auricher Vorhaben ein ganzes Bündel von Aspekten wichtig.

44 Jahre nach der ersten Nachkriegsförderung – damals waren zwei Werkräume einzurichten –, 41 Jahre nach der Beihilfe für die Anschaffung eines Cembalos und 32 Jahre nach der Förderablehnung für ein Ruderboot für den Schülerruderverein „ARGO" wagte sich das Auricher Ulricianum im Jahr 2000 wieder an die Klosterkammer heran und erbat rd. 56.000,-- DM für die Finanzierung der Stipendiatenprogramme der Jahre 2001 und 2002 der Auricher Wissenschaftstage.

Wir zögerten, beeindruckt auch von der langen Förderpause, in der Klosterkammer nicht und bewilligten die Mittel. Zumal waren wir gerade im Begriff, in Abstimmung mit dem Land und unseren ständigen Leistungsempfängern, den beiden großen Kirchen, unseren dritten, durch das Stiftungspatent von 1818 und das Landesverfassungsgesetz für das Königreich Hannover von 1840 feststehenden Stiftungszweck „Schule/Bildung/Erziehung" wieder stärker zu beleben. – Dieser Stiftungszweck geht – zusammen mit unseren beiden anderen: „Kirche“ und „Mildtätigkeit“ – historisch auf die Reformationszeit in welfischen Landen zurück, als zunächst die Herzogin Elisabeth von Calenberg-Göttingen 1542 und nach 1568 auch Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel entschieden, ehemals römisch-katholisches Klostervermögen im Sinne der lutherischen Reformation zu verwenden. Das hieß, Klostervermögen vor allem auch für Schule und Bildung zu verwenden. – Bei der Umgestaltung der kirchlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse waren die Reformatoren auf erschreckende Bildungsdefizite in allen Gesellschaftsschichten gestoßen. Zuerst wurde der Unterricht in Glaubensfragen aktiviert – siehe Luthers Kleinen und Großen Katechismus. Daraus erwuchs schnell der Wunsch nach Bildung für das ganze Volk. Eltern wurden immer wieder von der Wichtigkeit einer guten Schulbildung für ihre Söhne und Töchter (!) zu überzeugen versucht. Ein neues Schulsystem wurde entwickelt. Der Grundstein für das bis heute bestehende breite Bildungssystem war gelegt. Ohne die (Zitat) „protestantisch-deutsche Bildungsreform wäre die europäische geistige Entwicklung unendlich einförmig" (Zitatende) verlaufen, schrieb Friedrich Engels.

In Verantwortung gegenüber ihrem reformatorischen Stiftungszweck fördert die Klosterkammer Hannover schulische Projekte auch und gerade unter den Bedingungen der heutigen hochkomplexen offenen Gesellschaft. Mit der Unterstützung der Stipendiatenprogramme möchte sie ihren bescheidenen Beitrag zur Überwindung der derzeitigen Schwächen des deutschen Schulsystems leisten, die im Kern darin bestehen, dass die Komplexität von Zusammenhängen zu wenig gelehrt und zu wenig erlernt wird, dass zwischen Theorie und Praxis eine zu große Lücke klafft, dass der Dialog zwischen Schule, Forschung und Wissenschaft ungenügend ist. Abhilfe kann hier nur die Förderung von mehr intellektueller Weltneugier schaffen sowie die Förderung der Fähigkeit, bloße Information in Wissen umzusetzen und dessen praktische Bedeutung zu ermitteln.

Dort setzt das Auricher Stipendiatenprogramm an. Das hohe Engagement und die Begeisterung aller Beteiligten lassen erkennen, dass hier ein richtiger Weg beschritten wird.

Damit ist das Auricher Projekt – ich sagte es eingangs – mehr als ein lokales oder regionales Projekt. Ja, es ist durchaus auch für den bildungspolitischen Diskurs in Gesamtniedersachsen von Bedeutung – dies übrigens für die Klosterkammer ein wesentlicher Förderaspekt – und sogar von Bedeutung für die öffentliche Debatte in der ganzen Bundesrepublik.

Diese Debatte ist ja nicht erst durch die PlSA-Studie aufgebrochen. Sie existiert mindestens schon seit 1968, als man sich der Schule als Konfliktfeld bewusst wurde. Schon damals erscholl der Ruf, Schule wie Bildungssystem insgesamt müsse Kinder und Jugendliche befähigen, eine Zukunft zu gestalten, die den vielen, sich ständig vermehrenden gesellschaftlichen Problemen einschließlich der steigenden beruflichen Leistungsanforderungen gerecht wird. – Was nach 1968 blieb, war Ratlosigkeit; das ach so Bewährte wurde verteidigt und weitergetrieben.

Wenn es uns nicht endlich gelingt, die Bildungskalamität zu bezwingen, dann hat das schwerste Folgen für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft sowie für den Standort dieses Landes im europäischen und globalen Gefüge. – Nach Erasmus von Rotterdam ist Bildung die Entwicklung der von Gott geschenkten Fähigkeit, vernünftig zu denken und dann eben auch verantwortlich zu handeln. Um nichts anderes geht es auch heute. Es geht um die Handlungsfähigkeit der Menschen in der offenen Gesellschaft, eine Handlungsfähigkeit, die es ihnen ermöglicht, in den unterschiedlichen Bezügen und unter wechselnden äußeren Umständen ihrer Bestimmung und ihren Zielen treu zu bleiben. Die Gesellschaft mutet durch ihre Struktur den Menschen zu, selbstbestimmt zu leben. Dies wird jedoch widersprüchlich und sinnlos, wenn sie nicht zugleich auch die nötige Hilfe zur Ausbildung dieser Selbstbestimmung gibt. – Dafür ist ein System von unterschiedlichen Bildungseinrichtungen erforderlich, das neben der Familie, neben Institutionen der Reflexion von Lebenserfahrung, neben Institutionen der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und der vorschulischen Allgemeinbildung besonders eben auch die schulische Allgemeinbildung umfasst.

Schule muss das Erlebnis von Erfolg und ebenso auch von Glück vermitteln – für Lernende und für Lehrende. Erfolg und Leistung, Wettbewerb, die Kultur der Anstrengung müssen begleitet werden von Fantasien, Zukunftsentwürfen, Träumen, Muße. Dies wäre ein echter Zugewinn für die dringend erforderliche Lern- und Lehrbereitschaft.

Das Auricher Stipendiatenprogramm versucht dies zu realisieren und damit Bewegung in die allgemein verhärtete Schulfront zu bringen. Das Erfolgsrezept besteht in der Kooperation zweier unterschiedlich ausgerichteter Schulen und im Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Hervorragende Rahmenbedingungen schafft die konzertierte Aktion von Trägern, betreuenden wissenschaftlichen Institutionen, Organisatoren und Förderern.

Wo so viel Engagement und Innovation herrscht, ist die Klosterkammer Hannover gern und mit Überzeugung dabei. Wir alle müssen daran arbeiten, dass Schule ein Lebensort und kein Leidensort ist. Spätestens das Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat uns das gelehrt. Hoffnung dürfen wir haben. „Lerne um zu leben" steht selbst in die Wand des Gutenberg-Gymnasiums gemeißelt.

Ich danke Ihnen!

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