Professor Dr. Hänsch mit Anne Harms und Stefan Nagel
Herr Professor Dr. Hänsch, wie sind Sie eigentlich zur Physik gekommen?
Von klein auf habe ich mich für Naturwissenschaften interessiert. In Heidelberg haben wir in der Bunsenstraße gewohnt, benannt nach Robert Bunsen, dem Entdecker der Spektralanalyse und dem Erfinder des Bunsenbrenners, und ich habe meinen Vater gefragt, was denn der Herr Bunsen Besonderes gemacht hätte, dass eine ganze Straße seinen Namen führt. Eines Tages hat mein Vater dann einen Bunsenbrenner mit nach Hause gebracht, den man am heimischen Gasherd anschließen konnte, und dort haben wir experimentiert. Damals war ich fünf oder sechs Jahre alt. Mir hat es als Kind sehr imponiert, dass, wenn man Wissenschaftler ist, Straßen nach einem benannt werden, und irgendwann hatte ich angefangen, mir vorzustellen, dass ich auch mal ein Wissenschaftler werden würde, aber nicht, welcher Art. Ich interessierte mich für Chemie, Biologie, Astronomie, die Physik gehörte natürlich auch dazu. Am Ende gab den Ausschlag, dass ich entdeckt habe, dass mein Gedächtnis nicht besonders gut ist, und in der Physik kann man sich vieles logisch herleiten. In der Biologie und in der Medizin gibt es viele unzusammenhängende Sachen, welche man sich merken muss, z. B. die Namen der Knochen. Das war dann die Entscheidung kurz vor dem Studium, es mit der Physik zu versuchen.
Im Jahre 2005 haben Sie den Nobelpreis für Ihre herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Laserspektroskopie und die Entwicklung des Frequenzkammes bekommen. Hat der Nobelpreis Ihr Leben verändert?
Ja, aber ich hoffe, dass es nicht eine permanente Veränderung ist. Die ersten zwei Jahre war ich fast pausenlos unterwegs und habe wenig Zeit in München verbringen können. Nach Hause komme ich nur, um meine Schmutzwäsche loszuwerden, dann müssen die Koffer schon wieder gepackt werden. Wenn man den Nobelpreis zu früh bekommt, wird einen das ganz enorm aus der Arbeit herausreißen. Aber wir haben in München eine gute und aktive Gruppe von jungen Leuten, und aus der Entfernung kann ich über E-Mail und Telefon noch ein bisschen involviert sein. Jedoch habe ich die feste Absicht, weniger zu reisen und wieder mehr in München zu sein, auch, um neue Projekte zu überlegen. Ursprünglich wäre ich jetzt sogar pensioniert, ohne Nobelpreis, aber so habe ich die Möglichkeit, doch noch einige Jahre weiterzuarbeiten, und das möchte ich ausnutzen. Herumreisen kann man auch als Pensionär.
Haben Sie gezielt auf den Nobelpreis hingearbeitet oder war es eine Überraschung, als Sie ihn bekommen haben?
Nein, das kann man, glaube ich, auch gar nicht. Wenn man überlegt, wie viele Forscher es gibt und wie wenige Nobelpreise – das kann man sich nicht als Ziel nehmen.
Aber es war so, dass in meinem Umfeld der Nobelpreis vorher bereits einige Male eingeschlagen hatte. An der Stanford Universität in Kalifornien habe ich mit L. A. L. Schawlow gearbeitet. Er gilt als Miterfinder des Lasers. In den späten 1950er Jahren hat er zusammen mit C. H. Townes einen Vorschlag veröffentlicht, der eine Lawine in der Laserforschung losgetreten hat. Schwalow hat 1981 einen Nobelpreis für Arbeiten, an denen ich einen wesentlichen Anteil hatte, bekommen. Also habe ich gedacht, dass zumindest das Kaliber unserer Forschungsarbeiten so ist, dass es dafür auch Nobelpreise gibt. 1997 gab es für zwei Amerikaner und einen Franzosen einen Nobelpreis für Laserkühlung; die ursprüngliche Idee der Laserkühlung stammt von Herrn Schawlow und mir – wir hatten darüber 1974/1975 publiziert. Die anderen haben das weiter entwickelt, aber ohne uns und unsere frühen Arbeiten wären sie gar nicht auf die Idee gekommen. Ich habe gedacht, so ein bisschen Anteil an diesem Preis habe ich vielleicht doch. 2001 gab es wieder einen Nobelpreis, diesmal für die Bose-Einstein-Kondensation, für die der Laserkühler eine wichtige Voraussetzung ist. Diesmal war einer meiner Doktoranden dabei, C. E. Wieman, der hatte in Stanford bei mir promoviert und war dann Nobelpreisträger des Jahres 2001.
Aus welchen Gründen haben Sie es abgelehnt, in Pension zu gehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, nur durch Museen zu schlendern. Dazu bin ich zu sehr Vollblutforscher. Mir macht es einfach unheimlich Spaß, neue Sachen zu entdecken und zu erfinden, und als Experimentalphysiker braucht man Geld, man braucht die Ausrüstung und Mitarbeiter, und ich habe so, im Gegensatz zum Pensionär, das entsprechende Umfeld und bin dankbar dafür. Wenn mir nicht die Biologie einen Strich durch die Rechnung macht, möchte ich sehr gerne noch weiter arbeiten.
Mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich zurzeit?
In den letzten zwei Jahren haben wir an Projekten weiter gearbeitet, mit denen wir sowieso beschäftigt waren. Da geht es einmal um den Frequenzkamm, über den ich morgen in meinem Vortrag erzählen möchte. Das ist eine Messeinrichtung, die unheimlich genau misst, das genaueste Messwerkzeug, das man bisher erfunden hat. Damit kann man die Frequenz von Licht extrem genau messen, d. h., man kann die Zahl der Lichtschwingungen abzählen. Damit kann man genauere Uhren machen. Man könnte, was ich sehr aufregend finde, Änderungen von Naturkonstanten messen. Man vermutet diese nach astronomischen Beobachtungen, aber weiß bislang nicht, ob es stimmt. Man kann genaue Messungen an ganz einfachen Atomen vornehmen, für die man gute theoretische Vorhersagen machen kann, insbesondere am Wasserstoffatom und der Antimaterie, dem Anti-Wasserstoffatom. Es ist auch die Frage, ab Materie und Antimaterie genaue Spiegelbilder voneinander sind, ob sie die gleiche Frequenz von Lichtanregung binden oder ob es kleine Unterschiede gibt.
Wir haben eine größere internationale Kollaboration gehabt. Das CERN in Genf erzeugt z. B. Teilchenprotonen, die wir brauchen, um Anti-Wasserstoff zu machen. Unsere Rolle ist es dann, mit dem Anti-Wasserstoff Spektroskopie zu betreiben.
Inwiefern können die Ergebnisse Ihrer Projekte auch für die Allgemeinheit von Nutzen sein?
In der Grundlagenforschung wollen wir natürlich erst einmal neues Wissen schaffen, und solange wir noch nicht wissen, was wir denn einmal herausfinden werden, ist es schwer, Anwendungen schon zu prognostizieren.
Meistens ist es so, wenn man erst einmal etwas erkannt hat, dass sich dann auch Anwendungen ergeben. Zum Beispiel können über Faseroptikleitungen Signale für hoch auflösendes 3 D-Fernsehen empfangen werden oder man kann es als Uhrwerk benutzen für eine extrem präzise Zeitmessung.
Die Frage ist, ob wir das brauchen. Meine Uhr zeigt jetzt ungefähr halb neun.
Ja, und die Uhr ist gut genug, genauer muss sie nicht sein. Aber hier auf dem Tisch liegt ein Mobiltelefon, und in den Basisstationen für die Automobiltelefonie spielen Atomuhren eine Rolle. Die Signale von derart vielen Gesprächsteilnehmern könnte man gar nicht auseinander sortieren, wenn man nicht extrem präzise Zeitmessungen dort hätte. Im Auto haben viele Leute heutzutage ein Satellitennavigationsgerät, auch das würde ohne hochgenaue Atomuhren nicht funktionieren. Wenn man im Internet surft, ist es wichtig, die Impulse, die über die Leitung kommen, richtig zu erkennen, richtig zu synchronisieren – auch da werden Atomuhren eingesetzt. Man sieht das gar nicht, vieles aus dem Bereich dieser Hochtechnologie befindet sich hinter den Kulissen, und man muss es ja auch nicht wissen. Genau wie im Auto: Ich muss nicht genau wissen, wie der Motor funktioniert, wenn ich nur weiß, wo das Gaspedal sitzt.
Wenn wir uns zurückerinnern an die Entdeckung des Lasers: selbst die Erfinder hatten gedacht, dass das irgendwie eine esoterische Lichtquelle ist, die vielleicht eine ganz schwache Strahlung hat, die nur für Sonderzwecke einsetzbar ist. Und heute ist das eine Riesenindustrie, wenn man die Systeme betrachtet, die ohne Laser gar nicht existieren können, dort werden viele Mrd. € umgesetzt. Jeder hat heute einen Laserdrucker zu Hause oder seinen CD-Spieler und in Zukunft z. B. Blu-ray. Das hätte man damals nicht gedacht. Herr Schawlow hatte immer das Beispiel, dass mit Hilfe des Laserlichts viele Leute vor dem Erblinden gerettet worden sind – man kann die Netzhaut, wenn sie sich abgelöst hat, wieder anschweißen. Er wusste damals gar nicht, dass es diese Krankheit überhaupt gab, und selbst wenn er einen Weg gesucht hätte, sie zu heilen, hätte er bestimmt nicht mit Atomen und solchen Dingen gespielt. Das ist der Weg der Dinge, dass man neue Sachen nicht vorher sagen kann und dass die Anwendung immer erst der zweite Schritt sein kann. Wenn ich von vornherein sage, ich erforsche Ursachen, um die Energiekrise zu lösen oder Krebs zu heilen, lege ich mir Fesseln an. Aber es ist nicht schwer, die Öffentlichkeit oder die Politiker davon zu überzeugen. Es sind schon Riesensummen in den Sand gesetzt worden, weil man gedacht hat, dass wir gar nicht so breit angelegt forschen müssen, sondern nur mit bestimmten Zielen. Das geht meistens nicht gut.
Aber es gibt ja die Max-Planck-Gesellschaft, und das ist ein Paradies für Grundlagenforschung. Wir müssen nicht versprechen, dass wir etwas Praktisches, etwas Nutzbringendes entdecken, sondern können unserem Instinkt folgen und Sachen machen, die uns interessieren. Darum beneiden uns selbst die Amerikaner, dass wir in Deutschland diese Einrichtung haben. Wenn man schon solche Privilegien hat, wäre es doch schade, wenn man sie nicht nutzt.
Sie sind für die Max-Planck-Gesellschaft tätig?
Ich bin einmal Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und dann bin ich am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching.
Sind die Voraussetzungen zum Forschen in Deutschland besser oder schlechter als in anderen Ländern?
Am Max-Planck-Institut sind die Voraussetzungen gut, diese sind international konkurrenzfähig. An den Hochschulen ist das nicht überall der Fall, da ist viel zu verbessern. Man braucht enorm viel Geld, wahrscheinlich muss man auch viele neue Berufungen machen – das geht nicht so schnell. Aber es gibt auch Inseln, wo man gut forschen kann. Man muss sich eben informieren, wo die guten exzellenten Hochschulen sind. Die Max-Planck-Gesellschaft hat 80 Institute und einen sehr großen Etat. Nun könnte man sagen, man löst die Max-Planck-Gesellschaft auf und verteilt das Geld. Das wäre, als würde man Champagner ins Meer schütten. Dann würde alles mittelmäßig. Die Universitäten haben ja eine andere Aufgabe als die Max-Planck-Institute. Da geht es um Ausbildung, und nur ein Bruchteil der jungen Leute hat einen Beruf mit Wissenschaft im Auge; die meisten wollen z. B. in die Bank gehen. Dafür brauche ich keine toll ausgerüsteten Labore und Spitzenforscher, um diese Art der akademischen Ausbildung zu vermitteln.
In der Vergangenheit war es so, dass alle Universitäten gleich waren. Das hat sich jetzt geändert. Universitäten, die in der Forschung bereits stark sind, sollen sich in Zukunft noch stärker qualifizieren und Leute, die in der Wissenschaft bleiben wollen, anziehen, während andere Universitäten sich auf die Vermittlung von Wissen in der Lehre konzentrieren. Die ausgewählten Eliteuniversitäten sind im Moment nicht elitär, sie haben nur die Möglichkeit, sich anzustrengen. Es ist nicht so, dass sie ein für allemal zur Elite gehören. Wenn das Programm überhaupt weitergeführt wird, wird es wieder einen neuen Wettbewerb geben und die Hochschulen müssen sich erneut beweisen.
In den USA gibt es einige Eliteuniversitäten, diese können auch absinken. Aber dort schaut man sehr viel mehr auf die Rankings. Das prägt natürlich; Harvard ist z. B. ein Markenname. Diese Universitäten kosten selbstverständlich viel Geld, aber es gibt Stipendien, so dass z. B. in Stanford die Verteilung der verschiedenen sozialen Schichten ausgewogener ist als bei uns. Bei uns ist es wichtiger, dass man aus einem wohlhabenden Elternhaus kommt, um sich das Studium als Ziel zu stecken.
In Deutschland sind die männlichen Studenten in den Naturwissenschaften in der Überzahl. Das ist typisch deutsch. In Italien ist das anders. Dort ist das Verhältnis sehr ausgewogen, die Hälfte sind Frauen – auch in der Physik. Allerdings gibt es in Deutschland inzwischen mehr Frauen, die studieren. Da müsste man mal ein Nothilfeprogramm für die Männer schaffen.
Was haben Sie für die Zukunft geplant? Haben Sie besondere Pläne hinsichtlich dessen, was Sie noch erreichen wollen?
Ich bin schon zufrieden, wenn ich noch mal etwas Schönes, Neues entdecke oder etwas erfinde, was der Welt von Nutzen sein kann. Ansonsten macht allein die Arbeit schon Spaß, das Entdecken von neuen Talenten, dass da etwas heranwächst, das besser ist als der Professor, denn der wird ja alt. So eine Forschergruppe ist wie eine Familie.
Herr Professor Doktor Hänsch, wo leben Sie am liebsten – in Deutschland oder an einem anderen Ort auf der Erde?
Ich bin gern in Deutschland, aber auch an manchen anderen Orten, z. B. in Kalifornien wegen des guten Wetters – alle Menschen sind, wahrscheinlich wegen des guten Wetters, guter Laune. Aber nicht nur wegen des Wetters bin ich gern in Kalifornien. Ich war zu der Zeit dort, als in Stanford und im Silicon Valley die Mikrocomputerrevolution ihre Anfänge hatte, und man konnte das alles verfolgen. Man hatte das Gefühl, dass man der übrigen Welt voraus ist, dass von dort aus die Weichen gestellt werden für etwas, das woanders erst später passiert. Das fand ich nicht schlecht.
Ich bin gern in Italien, z. T. wegen des guten Essens, aber auch, weil ich gute Freunde dort habe und viele nette Menschen kenne.
Und jetzt lerne ich Ostfriesland kennen.
Herr Professor Doktor Hänsch, wir danken Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch.
[Das Interview führten Anne Harms und Stefan Nagel von der BBS II Aurich; sie wurden betreut von Brigitte Klaaßen (Lehrkraft an der BBS II Aurich).]