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Aufenthalte am GeoForschungsZentrum Potsdam (III)

Praktikumsbericht

Praktikum am GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam
vom 13. bis zum 24. Oktober 2003
Von Lisa Holschen

Wer glaubt, die Antwort auf ein ungeklärtes Phänomen zu finden sei in der Forschung das Entscheidende, irrt gewaltig. Oft werfen sich nach der ersten viele weitere Fragen auf, deren Bearbeitung zu neuen Erkenntnissen oder überraschenden Wendungen führt und für den weiteren Verlauf des Projektes entscheidend ist.

Und dass insbesondere Fragen sowohl in der Forschung als auch im Alltag ein wichtiger Bestandteil sind, erläuterte mir Herr Lühr, der mich während meines zweiwöchigen Praktikums am GeoForschungZentrum Potsdam im Sektor „Naturkatastrophen" betreute, gleich zu Beginn.

Als Veranschaulichung dieser Aussage erzählte er von einem Projekt am Vulkan Merapi (Java; Indonesien), das er u. a. mit einem Doktoranden der Geowissenschaften durchgeführt hat.

Ansatz dieses Projektes war die Entwicklung eines Modells des Vulkangebäudes mit Hilfe einer seismischen Tomographie, bei der mit der Durchstrahlung eines dreidimensionalen Bereiches oder Körpers die innere Struktur ermittelt werden kann.

Zur Durchführung der Messung wurde ein künstliches Erdbebensignal an drei Stationen erzeugt und die dadurch erzeugten radial ausgerichteten Wellen auf drei Kilometer langen Profilen gemessen.

Seismogramm, 29 k

„normales“ Seismogramm mit klar erkennbaren Ersteinsätzen der P- und S-Wellen,
maximale Energie am Anfang der seismischen Spur1)

Doch schon nach den ersten Messungen trat ein unvorhergesehenes Ergebnis ein. Die aufgezeichneten Primär-2) und Sekundärwellen3) zeigten eine gänzlich andere Struktur als es von den Forschern erwartet worden war. Die im Seismogramm erkennbaren Amplituden seismischer Signale waren nur sehr gering und das Signal schwächte sich nach kurzer Entfernung schnell ab, was bedeutet, dass ein Teil der Energie der P- und S-Wellen auf ihrem Weg verloren ging.

Seismogramm, 73 k

Seismogramm des Merapi-Projektes, maximale Energie nicht am Anfang der seismischen Spur
(wenn man nur die Struktur des Seismogramms betrachtet, wird die unterschiedliche Energieverteilung deutlich)

Der Doktorand, der sich als Lösung der Fragestellung speziell auf die Tomographie spezialisiert hatte und sah, dass mit dieser Methode keine großen Erfolge erzielt werden konnten, war zunächst enttäuscht.

Doch nach näherer Betrachtung ergaben sich aus den Versuchsergebnissen weitere Fragen, die für das Strukturieren des Vulkans von großer Bedeutung waren. Zum Beispiel erhob sich die Frage, warum die Wellen wider Erwarten schwach an den Messstationen ankamen.

Per Zufall entdeckte der Doktorand ein Seismogramm, das auf dem Mond aufgezeichnet worden war, und stellte eine charakteristische Ähnlichkeit zu dem Seismogramm des Merapi fest.

Seismogramm, 73 k

Mondseismogramm

Als Lösung des ungewöhnlichen Wellenverhaltens auf dem Mond wurde eine ausgeprägte mehrfache Streuung seismischer Signale in Betracht gezogen. Sie kommt dann zustande, wenn die seismischen Wellen verschiedene Gesteinsschichten durchlaufen und auf starke heterogene (uneinheitliche) Widerstände stoßen. Die Energie der Wellen kommt dann nicht direkt, sondern gestreut und reflektiert auf Umwegen zu unterschiedlichen Zeiten am Empfänger an.

Daraufhin bewies der Doktorand, dass auch am Merapi dieser Fall zutrifft, und nach dieser Entdeckung musste für die Erstellung eines Modells des Inneren des Vulkans mit einer anderen Methode gearbeitet werden.

Bei diesem Projekt konnte somit die Fragestellung (Strukturmodell des Vulkangebäudes) nicht mit der Methode der seismischen Tomographie beantwortet werden, doch stattdessen warfen sich neue Fragen auf, die zu erstaunlichen Resultaten auch zum Verständnis von Vulkanbeben führten.

Die neue Erfahrung und Erkenntnis für den Doktoranden war vor allem die Offenheit gegenüber überraschenden Ergebnissen und das korrekte Umgehen mit Ereignissen, die zunächst als Rückschlag oder Niederlage empfunden wurden, in Form von „Weiterfragen“.

Anmerkungen

1)

Diese und die folgenden Abbildungen sind entnommen dem Sonderband 4/2000 der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft e. V. zum 2. Merapi-Galeras Workshop.

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2)

Primärwellen (P-Wellen): die zuerst ankommenden oder schnellsten Wellen, die bei einem seismischen Ereignis das Gestein durchlaufen (nach: Frank Press/Raymond Siever „Allgemeine Geologie. Einführung in das System Erde“, Spektrum Akademischer Verlag)

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3)

Sekundärwellen (S-Wellen): Wellen, die sich langsamer ausbreiten als die P-Wellen (a. a. O.)

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