Praktikum am TEXTOR 94 im Forschungszentrum Jülich
vom 7. bis zum 11. April 2003
Von Alexander Börries
Das Forschungszentrum Jülich ist das größte in Deutschland und betreibt Forschungen auf fast allen Feldern. Ich absolvierte mein Praktikum unter der Obhut von Herrn Dr. Fuchs am TEXTOR 94, an dem die kontrollierte Kernfusion erforscht wird. Da der Verbrauch niedrig ist und die vorhandene Brennstoffmenge, die Energieausbeute und die Umweltverträglichkeit hoch sind, könnte die Fusionsenergie das Luftverschmutzungs- und Energieproblem lösen. Was aber ist Kernfusion?
Kernfusion ist das Gegenteil von Kernspaltung. Unter Kernfusion versteht man die Verschmelzung zweier leichter Atome zu einem schwereren. Das allgegenwärtige Beispiel für Kernfusion ist die Sonne als unser größter Energielieferant und Lebensspender. Bei der Fusion geht die Materie durch die hohen Temperaturen in den „vierten Aggregatszustand“ über und wird somit zum Plasma. Bei einem Plasma sind die Elektronen nicht mehr an die Atome gebunden, sondern können sich frei bewegen und die Materie wird elektrisch leitend. Plasmen gibt es nicht nur bei einer Fusion, sondern in ganz alltäglichen Phänomenen wie Neonröhren, Polarlichtern, Blitzen und Flammen. Die Sonne bietet für die Fusion bestimmte Bedingungen wie hohe Temperaturen und Dichte, aber auch eine große Materiemenge, die den Prozess begünstigen, weshalb man das Prinzip nicht einfach übernehmen kann. Es wurden zwei Verfahren entwickelt, mit denen eine Fusion möglich ist.
Eines der Verfahren wird als magnetischer Einschluss bezeichnet. In solchen Reaktoren hat das Plasma eine sehr geringe Dichte nahe am Vakuum. Bei diesem Verfahren ist der Reaktor ringförmig aufgebaut und generiert ein Magnetfeld, dessen Feldlinien im Reaktor einen Kreis bilden. Auf den Bahnen der Feldlinien wird das Plasma festgehalten. Dies ist notwendig, da das Plasma für die Fusion weder verunreinigt noch abgekühlt werden darf. Des Weiteren würden die Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad die Reaktorwand beschädigen. Ein Problem hierbei ist, dass das magnetische Feld innen stärker ist als außen und somit das Plasma wegdriftet. Man braucht entweder Ströme innerhalb oder außerhalb des toroidalen Plasmaschlauchs um ein Feld aufzubauen, das dem entgegen wirkt.
Beim Tokamak-Prinzip (TOroidalnaya KAmeras MAgnitnymi Katushkami), welches in Jülich angewandt wird, werden drei Magnetfelder überlagert. Das eigentliche Einschließen wird von dem Toroidalfeld bewerkstelligt, welches von den den Torus umschlingenden Toroidalfeldspulen erzeugt wird. Ein zweites Feld induziert Spannungen in das leitende Plasma, wodurch dann ein Strom fließt, der ein stabilisierendes Magnetfeld aufbaut. Um dies zu erreichen, ist der Reaktor wie ein großer Transformator konzipiert. Es werden mehrere Transformatorjoche durch die Mitte des Rings gelegt und mit Spulen bestückt, so das der Reaktor als Sekundär-Wicklung fungiert. Ein drittes Feld, welches auch zur Stabilisierung benötigt wird, wird von großen um den Ring liegenden Vertikalfeldspulen generiert.
Da die Reaktionswahrscheinlichkeit bei Wasserstoff zu niedrig ist, muss man auf die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zurückgreifen. Bei der Fusion der beiden Isotope entsteht ein Heliumatom mit einer Energie von 3,5 MeV und ein Neutron mit einer Energie von 14,1 MeV. Um 1.000 MW Energie zu gewinnen müsste man lediglich 150 kg Deuterium mit 150 kg Tritium fusionieren und erhält 400 kg nichtradioaktives Helium. Für die gleiche Energie müsste man 2,7 Millionen Tonnen Steinkohle herkömmlich oder 32 Tonnen UO2 durch Kernspaltung verbrauchen. Deuterium ist zu 0,015 % in Wasser enthalten und stellt daher kein Rohstoffproblem da. Tritium ist hingegen ein Betastrahler mit einer Halbwertzeit von 12,3 Jahren, weswegen es nicht in der Natur vorkommt.
Allerdings kann man es vor Ort durch die Kernfusion aus Lithium und dem bei der Fusion freigewordenen Neutron erbrüten, wobei jeweils ein Tritium- und ein Heliumteilchen entstehen. Mit dem Lithium könnte man dann die Wandelemente beschichten und bei der Spaltung des Lithiums die durch das Neutron transportierte Energie abführen. Doch zuerst muss man noch eine weitere Bedingung für die Fusion erfüllt werden.
Man muss dem Plasma genug Energie zuführen, dass die elektrostatische Abstoßungskraft der positiv geladenen Atomkerne überwunden wird und die Kerne sich soweit annähern, dass die starke Wechselwirkung zum Tragen kommt. Am TEXTOR wird hierzu auf drei verschiedene Weisen Energie zugeführt, die Ohmsche Heizung, die Neutralteilcheninjektion und die Hochfrequenzheizung.
Am TEXTOR arbeitet man an einem kohärenten Konzept für Teilchen- und Energieauskopplung, indem man z. B. die Plasma-Wand-Wechselwirkungen, den magnetischen Einschluss, den Verunreinigungstransport usw. erforscht und dafür neue Konzepte und Komponenten entwickelt.
Um die Kernfusion gezielt erforschen zu können müssen viele verschiedene Messsysteme entwickelt werden, die in der Lage sind von außen Messwerte aufzunehmen und zu verarbeiten. Durch die Vielzahl der Kameras und Sensoren und deren hohen Auflösung fallen bei jedem Schuss, so nennt sich der maximal 12 Sekunden lange Impuls des Tokamareaktors (siehe auch das Video im MPG-Format, 913 kb), enorme Datenmengen an. Dr. Fuchs, der uns Praktikanten am TEXTOR betreute, war hauptsächlich für die magnetische Diagnostik zuständig. Er positionierte eine Unzahl von verschiedenen Spulen in- und außerhalb des Reaktors, durch die man die magnetischen Felder messen und Aufschluss über Plasmaströme, Temperaturen und vieles mehr erlangen konnte. Andere Messsysteme beruhen auf dem Prinzip, dass durch Laser angeregte Elektronen Licht emittieren, und liefern so Daten über Teilchendichte, Temperatur und Bewegung der Elektronen; auch aufgrund des Wechsels der Polarisation eines Laserstrahls durch das Plasma kann man die Lage des Plasmas und Daten über das Magnetfeld ermitteln.
Nicht nur das Plasma wird erforscht, auch die Wandelemente und deren Wechselwirkung mit dem Plasma sind von enormer Bedeutung. Da sie teils gewollt, um das Helium abzuführen, teils ungewollt mit dem Plasma in Berührung kommen, ist ihre Materialbeschaffenheit eines der Hauptfelder der Forschung in Jülich. Auf den ersten Blick ist es unvorstellbar, dass ein irdisches Material Temperaturen von mehreren Millionen Grad aushalten kann, doch muss man bedenken, dass das Plasma nur ein tausendstel der Dichte unsere Luft hat, wodurch sich bestimmte Materialien einsetzen lassen wie Kohlenstoff oder Wolfram. Da das Plasma Atome aus der Wand sprengt und aufnimmt, stellt sich die Frage, welche Atome es in welchem Maße verträgt, wie viel sich von der Wand lösen und ob sie sich absetzten. Des Weiteren ist es wichtig, ob der Neutronenbeschuss und die Temperatur die Eigenschaften des Materials verändern. Viele Stoffe werden porös und leiten Wärme schlechter. Da Kohlenstoff die Fusion nur leicht beeinflusst, wurde es bei den experimentellen Reaktoren verwendet. Wegen der Kohlenstoffablagerungen und des schnellen Wandabtrags arbeitet man an einer Lösung mit dem wesentlich langlebigerem Wolfram, welches allerdings das Plasma stark beeinträchtigt, um in einem Dauereinsatz die Wartungs- und Entsorgungskosten niedrig zu halten.
Das Ziel all dieser Forschungen ist ein funktionsfähiger Fusionsreaktor. Der sich momentan in Planung befindliche ITER-Reaktor ist ein internationales Projekt und soll 72 MW Heizleistung, 500 MW Fusionsleistung über eine Impulsdauer von über 5 Minuten erzielen. Noch gibt es viele Probleme bei der Realisierung, an denen man in Jülich und vielen anderen Standorten arbeitet.
Während unseres Praktikums wurde uns ein guter Einblick in die Forschung am TEXTOR sowie eine Führung durch das Zentralinstitut für angewandte Mathematik ermöglicht. Am Institut für angewandte Mathematik werden für andere Abteilungen des Forschungszentrums, aber auch für die freie Wirtschaft mathematische und informationstechnische Probleme teils unter Zuhilfenahme der Großrechner gelöst.
Herr Fuchs schenkte uns viel Aufmerksamkeit, zeigte und erklärte uns bereitwillig jedes auch noch so kleine Detail der Anlage und band uns auch in seine Arbeit ein. Zum Beispiel haben wir eine neue Messung in das System eingebunden und auch sogenannte Mirnov-Spulen zusammengesetzt. Zum Abschluss wurde uns die Teilnahme zu einem Vortrag zur Datenkompression durch Wavelets ermöglicht. So haben wir viel Wissen vermittelt bekommen und konnten praktische Erfahrungen sammeln.
Während des gesamten Aufenthalts in Jülich wurden wir von Frau Baurmann in jeder Hinsicht bestens betreut.