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Auricher Wissenschaftstage –
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Carl Friedrich von Weizsäcker
„Begegnung mit Lise Meitner“1)

Verlesen auf der Eröffnungsveranstaltung der 7. Auricher  Wissenschaftstage 1996

Die Begegnung und Zusammenarbeit mit Lise Meitner ist mir in bester und schönster Erinnerung. Es war, wenn ich mich recht erinnere, im Sommer 1936, dass ich ein halbes Jahr an der von ihr geleiteten physikalischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für Chemie als theoretischer Physiker (man nannte es im Jargon als „Haustheoretiker“) gearbeitet habe. Diese Stelle hatte an sich Max Delbrück. Aber er war für ein halbes Jahr abwesend (ich meine, er sei besuchsweise in Amerika gewesen), und er hatte mich als seinen Vertreter vorgeschlagen.

Sehr gut gefiel mir ihre Beziehung zu Otto Hahn, der als Chemiker Direktor des ganzen Instituts war, in dem er ausserdem eine eigene chemische Abteilung leitete. Die Struktur der Atomkerne war das gemeinsame Forschungsthema. Hahn war ein hervorragender empirischer Forscher, Lise Meitner begleitete das mit ihren physikalischen Einsichten, fördernd und kritisch. Noch höre ich den Klang ihrer Stimme, wenn sie ihm zu einem Thema sagte: „Hähnchen, das verstehst Du nicht, das ist Physik.“

Sehr berühmt geworden, aber nicht immer historisch richtig gesehen, war der Weg, der zu Hahns Entdeckung (gemeinsam mit Strassmann) der Kernspaltung führte. Joliot hatte Uran mit Neutronen beschossen und fand einen Stoff, den er für Radium hielt. Lise Meitner sah klar, dass die Umwandlung eines Urankerns in einen Radiumkern durch ein Neutron physikalisch nicht vorstellbar war. Aber was hatte Joliot dann gefunden? Hahn sagte: „Ich will die Radiümer von dem Joliot studieren.“ Lise Meitner winkte ab: „Das lohnt gar nicht, das muss irgendein Dreckeffekt sein. Wende Deine Zeit auf etwas Lohnenderes an!“ Er gehorchte ihr. Aber dann musste sie 1938 Deutschland verlassen, weil ihr österreichischer Pass durch den „Anschluss” wertlos geworden war und sie nicht mehr schützte. Kaum war es gelungen, ihr die Ausreise zu ermöglichen, so wandte sich Hahn dem Joliotschem „Radium“ zu, und er fand, es müsse wohl Barium sein. Am Telefon sagte er mir, kurz nach Weihnachten 1938: „… aber dann ist der Kern zerplatzt.“ Er schilderte ihr brieflich das schwer zu deutende Resultat, und sie fand, mit ihrem Neffen Frisch, die richtige theoretische Beschreibung der Kernspaltung. Hahn hat mit Recht den Nobelpreis für die Entdeckung bekommen, die seiner zähen, genauen empirischen Arbeit entsprang. Aber Lise Meitner war die gedankliche Autorität, deren erklärenden Zustimmung er bedurfte.

Unterschrift Carl Friedrich von Weizsäcker

Anmerkung

1)

Ein Scan des Schreibens ist ebenfalls verfügbar.

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