Von Konstantin Musolf und Jonas von Lilienfeld-Toal
Vom 11. Juni bis zum 2. Juli 2017 nahmen wir an einem Archäologie-Stipendium der Auricher Wissenschaftstage teil. Das Projekt, welches in Carcare, einem kleinen Ort in der Nähe von Savonna, stattfand, hatte den Namen „Arche“ und wurde von dem Institut „Studi Liguri“, einer Einrichtung für Archäologie, betreut. Das Projekt läuft seit 2010 und war zunächst für freiwillige, interessierte Schüler gedacht, die so die Möglichkeit hatten, mit professionellen Archäologen zu arbeiten. Seit 2012 ist es allerdings im Zuge einer Schulreform ein verpflichtetes Ferienprogramm für die Schüler der „Classico“-Schule aus Carcare geworden. Ausgegraben wurden und werden dort Überreste einer ligurischen Siedlung, welche zunächst in der Bronzezeit (ca. 100 v. Chr.) und danach in der Spätantike (um 500 n. Chr.) bewohnt wurde. Wir haben über dieses Stipendium durch Freunde erfahren, die sich auch dafür interessierten, und haben uns relativ kurzfristig beworben.
Am 11. Juni 2017 starteten wir mit dem Flieger über München nach Genua, wo wir gegen Nachmittag landeten. In Genua wurden wir von einer Schülerin und ihrem Vater abgeholt und zu unserer ersten Gastpartnerin gebracht, bei der wir zunächst für die erste Woche zusammen wohnten. Die erste Woche gestaltete sich im Projekt so, dass wir jeden Tag entweder etwas zur Geschichte der Ligurier, dem Volksstamm, der die Siedlung bewohnte, welche wir ausgruben, oder etwas über die allgemeine Geschichte der beiden Orte von Antike bis Spätmittelalter lernten. Hierzu bekamen wir Unterrichtseinheiten in der Schule oder besuchten Burg- sowie Brücken- und Kirchen-/Klosterruinen.
Über die Ligurier lernten wir, dass sie ein keltischer Volksstamm Norditaliens waren. Da sie selber keine schriftlichen Quellen hinterließen, beruht das einzige Wissen auf einerseits römischen Historikern, die aufgrund des römisch-ligurischen Krieges allerdings ausschließlich negativ schreiben, oder auf Ausgrabungen wie eben die Siedlung, an welcher wir arbeiteten. Man geht davon aus, dass die Ligurier trotz der überwiegend primitiven Werkzeuge aus Stein, die gefunden wurden, einen relativ hohen technologischen Stand hatten und auch in der Lage waren, Bronze und Eisen zu verarbeiten. Dies geht aus Funden aus Gräbern und spirituellen Orten hervor, in denen man Ziergegenstände gefunden hatte wie verbogene Waffen (ein Brauch, der zeigen sollte, dass der Krieger nie mehr kämpft) oder Schmuckgegenstände. Auch ist anzunehmen, dass die Ligurier bereits innerhalb Europas handelten, da man Bernstein und andere Mineralien aus nördlichen Teilen Europas fand. Von den Römern werden sie allerdings als rücksichtslose, brutale und unkultivierte Barbaren beschrieben. Das liegt daran, dass man mit den Liguriern einen fast hundertjährigen Guerilla-Krieg führte, da diese die römischen Silberkarawanen aus Spanien überfielen. Der Krieg endete um ca. 115 v. Chr. mit einem Genozid an den verbliebenen Frauen und Kindern der Ligurier. Die Überlebenden wurden allerdings schon um 40 v. Chr. von Julius Cäsar als vollwertige römische Bürger integriert.
In der ersten Woche ging das Programm etwa von 8–12 Uhr und wir hatten den Rest des Tages frei.
In der zweiten Woche starteten wir damit, die Ausgrabungsstätte zu besichtigen und zu säubern. Aus rechtlichen Gründen war es allerdings noch nicht erlaubt, dort zu graben, was die Archäologen, auch wenn sie so ziemlich jede andere Regel missachteten, peinlich genau kontrollierten. Wir mussten uns also darauf beschränken, die Blätter und das Unkraut von den bereits ausgegrabenen Steinen zu lösen und zu entsorgen.
Unsere Ausgrabungsstätte war ein Sommerdorf auf einem strategisch exzellent gelegenen Hügel, von welchem man das gesamte Umland überblicken konnte. Heute ist dort ein dichter Wald, doch vor 2000 Jahren soll dort nach römischen Beschreibungen keiner gewesen sein. Man nimmt an, dass die Bewohner im Sommer mit ihrem Vieh, welches an einem Fluss unterhalb getränkt werden konnte, auf den Hügel kamen, um dort sicherer vor Feinden (z. B. den Römern) zu sein. Das Dorf war in eine untere Ebene und eine obere aufgeteilt. Die untere Ebene wurde von einer, noch heute gut erkennbaren, Mauer umspannt, welche den ohnehin schon steilen Hang verstärkte. Hinter der Mauer befanden sich höchstwahrscheinlich ein Ofen (erkennbar an gebrannten Tonstücken und verfärbter Erde/Steinen) und eine Ansammlung von Pfahlbauten. Diese wurden an kleinen Kuhlen, welche für die Holzpfähle in den Stein gehauen wurden, erkannt. Auf der oberen Ebene wird wahrscheinlich eine Art Tempel gestanden haben. Man erkannte dies an einer Art Auffangschale, welche in den Fels geschlagen war. Diese wurde für rituelle Zwecke, z. B. zum Auffangen von Blut, benutzt. Es ist also auch anzunehmen, dass die Siedlung ein zentraler Ort der religiösen Zusammenkunft war.
In der zweiten Woche arbeiteten wir von 8–12:30 Uhr und hatten den Rest des Tages frei.
In der dritten Woche begannen die eigentlichen Ausgrabungen. Dabei wurde, wie schon in der zweiten Woche, erneut in Teams vorgegangen. Uns wurde in der Art und Weise des Ausgrabens sehr viel Freiheit zugestanden, das bedeutet, uns wurde ein bestimmter Standpunkt auf der Ausgrabungsstätte zugewiesen und dort konnten wir dann relativ frei graben. Dabei war das hauptsächliche Hilfsmittel ein kleiner Spachtel, mit dem je nach Grabungspunkt gearbeitet wurde. Wir hatten zusammen mit unserem Team während der dritten Woche hauptsächlich zwei verschiedene Grabungsstellen.
Untere Hälfte der Ausgrabungsstätte
Ofen auf der unteren Hälfte der Ausgrabungsstätte mit dahinterliegender Mauer
Die eine Stelle befand sich bei der antiken Mauer, die die Ausgrabungsstätte umgab, dabei handelte es sich um einen Bereich, der vorher überhaupt noch nicht überprüft worden war. Dort untersuchten wir größtenteils die Steine der Mauer, entfernten Erde und andere pflanzliche Überreste, die sich zwischen den Steinen gesammelt hatten, und überprüften, ob sich darin etwas finden ließ. Dabei stießen wir auch tatsächlich auf einen Fund. Als wir uns etwas tiefer in die Mauer hineingruben und einige Steine entfernten, fiel uns auf, dass ein Objekt, das noch tiefer innerhalb der Mauer steckte, ein anderes Aussehen hatte als die Steine, die die Mauer bildeten. Trotz des Abratens unserer Aufsichtsperson entschieden wir uns zu versuchen, dieses Objekt aus der Mauer herauszubekommen. Nachdem wir zusammen mit weiteren Mitgliedern unseres Teams Erde und Steine, die das Objekt verdeckten beziehungsweise unseren Zugang verhinderten, weggeräumt hatten, konnten wir es aus der Mauer herausbefördern. Es handelte sich dabei um einen Stein, der sich aber von allen anderen Steinen vor allem bezüglich der Form unterschied. Wie auf mehreren der Bildern zu sehen ist, besitzt er eine einigermaßen glatte Oberfläche. Die Archäologen teilten uns dann mit, es handele sich um ein Hilfsmittel, mit dem die Bewohner des Dorfes beispielsweise Getreide zermalmt haben. An dieser Stelle befand sich damals vermutlich auch eine Art Ofen, der zum Töpfern benutzt wurde. Dies führte dazu, dass wir des Öfteren kleinere Stückchen von Getöpfertem fanden. Diese waren allerdings zu klein und dadurch archäologisch nicht relevant, als dass man diese weiter untersucht hätte.
Die zweite Grabungsstelle war auf der Spitze des Hügels der Ausgrabungsstätte. Dort wurden damals wahrscheinlich vor allem religiöse Rituale durchgeführt. Für uns als Ausgräber änderte sich die Arbeit insofern, dass wir es nun nicht mehr mit lockerer Erde und pflanzlichen Überresten zu tun hatten, sondern mit fester Erde und Gestein. Wieder arbeiteten wir mit dem bereits angesprochenen Spachtel, doch diesmal wurde erst die Erde, die wir abgruben, in einen Eimer gefüllt und dieser vor dem Ausleeren gesiebt, sodass, falls sich etwas archäologisch Relevantes in der Erde befand, dies entdeckt werden würde.
Eine weitere wichtige Aufgabe einer archäologischen Ausgrabung, mit der wir in Kontakt kamen, ist die Katalogisierung der Ausgrabungsstätte. Dabei wurden die festen Gesteinsformationen maßstabsgetreu zeichnerisch festgehalten. Dazu wurde unter anderem ein Gewicht mit Schnur benutzt, um die einzelnen markanten Punkte der Gesteinsformationen möglichst genau zu den Seitenmarkierungen der einzelnen Stellen, die so katalogisiert wurden, in Bezug zu setzen. Das war eine Arbeit, die sehr genau auszuführen war und deshalb auch immer mit mehreren Personen erledigt wurde.
Während unserer Zeit auf der Ausgrabungsstätte wurden auch einige andere Ausgrabungsteams fündig. So wurde wie auf einem der Bilder zu sehen ein kleiner zugespitzter Stein gefunden, der als Axtklinge diente. Am letzten Tag wurde dann auch ein größeres Töpfereistück gefunden, bei dem sogar tatsächlich zu erahnen ist, wie der Teller oder die Schale, zu dem das Stück gehörte, mal ausgesehen hat.
Abschließend müssen wir uns bei allen Mitwirkenden, die uns diese Reise ermöglichten, ganz herzlich bedanken. Dazu gehörte das Team der Wissenschaftstage, die Mitarbeiter der Ausgrabungsstätte, die uns ermöglichten, an den Ausgrabungen teilzuhaben, und die lokalen Lehrer, die uns vor allem in der ersten Woche mit vielen Informationen bezüglich der Ausgrabungen, sowie insgesamt der Region versorgten, aber auch in den weiteren zwei Wochen begleiteten. Unser größter Dank muss aber ganz klar an die Schüler aus Italien und deren Familien gehen, die uns nicht nur bei sich zuhause aufnahmen, uns so gut und mit so viel Essen versorgten, wie wir es wahrscheinlich lange nicht wurden, und uns mit der größten Selbstverständlichkeit in ihre Familien integrierten, sondern uns auch bei allen anderen Dingen zur Seite standen. Ob es um Übersetzungen ins Englische im Zuge der Ausgrabungen oder um Freizeitaktivitäten aller Art ging. Wir wurden immer integriert und um uns wurde sich mit der größten Sorgfalt gekümmert. Für all dies bedanken wir uns ganz herzlich.