Logo der Berufsbildenden Schulen 2 Aurich

Auricher Wissenschaftstage –
Forum einer dritten Kultur

Logo des Ulricianums

Artikel im Anzeiger für Harlingerland – Ostfriesisches Tageblatt vom 14. Februar 2018, S. 9 [1]

Faszinierende Reise in Welt der Tiefsee

VERANSTALTUNG Prof. Dr. Antje Boëtius eröffnet die Auricher Wissenschaftstage – 350 Zuschauer

Renommierte Meeresbiologin plädiert in ihrem Vortrag für nachhaltige Ressourcengewinnung

Von Werner Jürgens

Foto von Prof. Dr. Antje Boetius bei der Eröffnungsveranstaltung der 28. Auricher Wissenschaftstage 2018, 26 k

Über das, was tief unten in unseren Ozeanen passiert, wis­sen wir noch sehr wenig, sagt die Meeresbiologin Prof. Dr. Ant­je Boëtius. (Foto: Wer­ner Jürgens)

AURICH – Ausgerechnet über eine Meeresbiologin zu sagen, dass sie für ihren Job „brennt“, mag zwar ein wenig paradox klingen. Auf Prof. Dr. Antje Boëtius trifft dieser Satz aber unbedingt zu. Das bewies die Leiterin des renommierten Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven einmal mehr bei ihrem Vortrag, mit dem sie am vergangenen Montagabend vor rund 350 Besuchern im Foyer der Hauptfiliale der Auricher Sparkasse die Auricher Wissenschaftstage eröffnete. Thema des Vortrags war die Tiefsee und ihre mannigfaltigen Schätze.

Die Faszination für die Tiefsee reicht bei Antje Boëtius bis zurück in ihre Kindheit. Einer der Auslöser war Jule Vernes bekannter Roman „20 000 Meilen unter dem Meer“, wie sie dem Auricher Publikum am Montag verriet. Inzwischen hat die 1967 in Frankfurt geborenen Wissenschaftlerin bereits mehrfach die Meere dieser Welt aus der Perspektive von Kapitän Nemo erlebt und sich dabei viel von ihrer kindlichen Begeisterung für die Materie bewahrt. Deswegen wurde ihr Vortrag kaum langweilig.

Tatsache ist, dass rund 70 Prozent unserer Erde von den großen Ozeanen und ihren Nebenmeeren bedeckt werden. Auch wenn die komplette Weltbevölkerung – und das wären immerhin rund 7,5 Milliarden Leute – auf einen Schlag hineinspringt, würde sich der Wasserpegel nur unwesentlich erhöhen. Oder auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Meere kämen vermutlich wunderbar ohne uns Menschen klar. Umgekehrt sieht das völlig anders aus. Etwa die Hälfte des Sauerstoffs, den wir zum Atmen brauchen, wird von den Ozeanen produziert. Gleichzeitig kompensieren deren Gewässer ungefähr ein Drittel der CO2-Last und mehr als 90 Prozent der Erderwärmung.

Angesichts dieser geradezu überlebenswichtigen Bedeutung ist das allgemeine Forschungsinteresse vergleichsweise gering. Jedenfalls sind nach Darstellung von Antje Boëtius mittlerweile mehr Menschen auf dem Mond als in der Tiefsee gewesen. Den tiefsten Punkt der Erde im Marianengraben haben bis dato lediglich drei Forscher besucht. Dabei gibt es dort unten einiges zu entdecken. Millionen von Tierarten – nach Expertenschätzung bis zu 90 Prozent des gesamten Bestandes – kennt der Mensch noch gar nicht. Bezieht man einzellige Organismen mit ein, steigt die Zahl dieser unbekannten Arten in die Milliarden. Anhand dieses laut Boëtius „Archiv des Lebens“ lässt sich einerseits einiges über die Geschichte und Entstehung der Erde ablesen. Anderseits können sich die meisten Tiefseebewohner hervorragend an Extremsituationen anpassen und verfügen außerdem über zum Teil erstaunliche Fähigkeiten. So gibt es Bakterien, die in der Lage sind Öl zu fressen.

Das klingt zunächst wie eine Patentlösung gegen Ölkatastrophen, hat jedoch einen entscheidenden Haken: Bis solche Bakterien das Öl tatsächlich entfernt haben, vergehen ein paar Tausend Jahre. Und bei dem aus Öl gewonnenen unverwüstlichen Plastik, wie er tagtäglich tonnenweise in unsere Meere gekippt wird, müssen selbst die wundersamen Bakterien kapitulieren.

Und hier sieht Antje Boëtius ein grundsätzliches Problem für die Ausbeutung von Ressourcen aus der Tiefsee. Die Natur braucht immens viel Zeit, um etwas zu entwickeln, was der Mensch dann quasi fast im Handumdrehen kaputt macht.

Bei Öl und Gas ist man inzwischen dazu übergegangen, in Tiefen von zwei bis drei Kilometern zu bohren. Allerdings besteht aus Sicht der Wissenschaftlerin nicht zuletzt wegen der nach wie vor lückenhaften Kenntnisse darüber, wie die Ökosysteme in der Tiefsee im einzelnen aufgebaut sind und was überhaupt wie oft und wo vorkommt, eine große Gefahr, dass trotz des Einsatzes von modernster Technik wichtige natürliche Habitate und Ressourcen zerstört werden; zumal bis dato kein vernünftiges allgemeingültiges Regelwerk existiert, wie man sich auf hoher See unter Wasser verhalten soll bzw. darf.

Deshalb plädiert Prof. Dr. Antje Boëtius für ein nachhaltiges Vorgehen verknüpft mit einer intensiveren Forschungsarbeit, um weitere Wissenslücken zu schließen. Dass die dafür notwendigen Schiffe, U-Boote und deren Ausrüstungen relativ teuer sind, wollte sie nicht unbedingt als Gegenargument gelten lassen. In den letzten 20 Jahren sei in die Tiefseeforschung ungefähr genau so viel Geld investiert worden wie in einen einzigen Tag Irak-Krieg. „Darüber sollte man vielleicht auch mal reden“, meinte die 50-jährige Meeresbiologin in Aurich.

Anmerkung

[1]

Eine E-Paper-Version des Artikels ist ebenfalls verfügbar; offenkundige Versehen wurden stillschweigend berichtigt.

[Zurück zum Text]

Neues | Seitenanfang