Am Montag fahren wir mit unserem Flussschiff, der „Buotama“, die Lena aufwärts nach Diring-Jurjah. Nach zwei Stunden Fahrt werden wir direkt am Strand unterhalb eines 200 Meter hohen Hügels abgesetzt. Da es zu nieseln anfängt, bauen wir sofort unsere Zelte auf, sichern unsere Lebensmittel mit einer großen, an den Rändern mit Steinen beschwerten Plastikplane gegen Regen und suchen Feuerholz.
Abfahrt nach Diring-Jurjah
Dann beginnen wir mit dem Kapitän der „Buotama" den Aufstieg zu den archäologischen Fundstellen oben auf dem Hügel über der Lena. Wir klettern den Hang zur Ausgrabungsstätte Diring-Jurjah mit etwa 50 Prozent Steigung empor, bis wir in einer Höhe von 100 Meter über der Lena auf ein kleines Plateau stoßen. Hier befindet sich wieder ein Schamanenbaum, unter dem auch Zehnender-Geweihe von Hirschen geopfert wurden. Wir legen Kopekenstücke und andere Dinge am Baum nieder.
Hochsitz der Archäologen
Unser Kapitän wohnt am gegenüberliegenden Ufer der Lena und hat den Beginn der Ausgrabungen 1982 selbst miterlebt. Er berichtet uns von der Wette einiger Einheimischer, die einen Preis für jenen Traktor-Fahrer auslobten, der diesen steilen Abhang unbeschadet hinunterfahren könnte. Stolz erzählt er, dass ein Fahrer es geschafft hat, indem er mit einer vorgespannten Schaufel zusätzlich abgebremst hat. Den Anstoß zu dieser Ausgrabung haben Jäger der umliegenden Orte gegeben, berichtet er. Sie haben in der Taiga viel Wild erlegt und wollten an diesem Abhang einen Teil des Wildes auf Permafrostboden für später zurücklassen. Als sie nun hier gruben, fanden sie alte menschliche Skelette. Da es sich bei dieser Anhöhe um einen mit Dünensand und Erde überwehten Hügel aus Kalkstein handelt, konnten sich die ebenfalls kalkhaltigen Skelette hier sehr lange halten. Übrigens ist es bei Moorleichen umgekehrt. Bei ihnen löst sich das Skelett auf und nur die äußere Hülle, z. B. Haare und Haut, bleiben erhalten.
Trocknen der Wäsche am Lagerfeuer nach ersten Regenfällen
Bei den folgenden archäologischen Ausgrabungen fand man Werkzeuge und Waffen aus ganz unterschiedlichen Menschheitsepochen. Am umstrittensten ist bis heute die Datierung von Steinwerkzeugen und Waffen in Diring-Jurjah, die man so zuvor nur in Kenia, Tansania oder Äthiopien gefunden hatte. Der Leiter der Ausgrabung, Herr Prof. Dr. Motschanow, datiert diese Steinwerkzeuge auf ein Alter von ca. 1,8 bis 2,5 Millionen Jahre. Zur Datierung werden Interpretationen der Steinbearbeitung und Vergleiche mit anderen Fundstücken herangezogen. Die einzige naturwissenschaftlich exakte Methode ist die Datierung der Erde, in der die Steinwerkzeuge gefunden wurden. Diese ergab ein Alter von 300.000 Jahren. Doch damit ist die Frage nach dem Alter noch nicht beantwortet.
Die gefundenen Steinwerkzeuge sind alle Teil einer Hangablagerung, in der sich Erdmassen verschiedenen Alters im Laufe der Jahrtausende mischten. Ob der Urmensch an verschiedenen Stellen der Erde entstand, unter anderem in Sibirien, wird man eindeutig erst wissen, wenn man einen weiteren Fundort in einer Ebene mit nur geringen Erdbewegungen ausgemacht hat.
Wir besichtigen die riesige Ausgrabungsfläche und sehen den aufgehäuften Sand. 150.000 Kubikmeter Sand haben die Archäologen bewegt und Hochsitze in den Bäumen des Grabungsgebietes angelegt. Sogar den Vorratskeller der Archäologen finden wir. Es ist ein circa 2,80 Meter tiefes, gut ausgeschaltes Loch, das bis zum Permafrost hinunter reicht.
Erste Fundstücke menschlicher Knochen oben auf dem ersten Plateau
Wir suchen auf dem Grabungsfeld, auf dem sehr viele Feuersteine liegen, nach Speerspitzen und Steinwerkzeugen. Für den Laien sind bearbeitete Speerspitzen schwer von zufällig ähnlich geformten Steinen zu unterscheiden. Wir finden Kratzer von Feuersteineb, mit denen man die Felle von Tieren von innen gesäubert hat. Aber wir können nicht eindeutig sagen, ob es Urmenschen waren, die diese bearbeitet haben.
IIm leicht einsetzenden Regen klettern wir wieder den Abhang hinunter, es ist Zeit zum Abendessen. Am Ufer bauen wir unsere Feuerstelle auf, hängen an einen langen, über einen Baumstamm gelegten Ast zwei Eimer mit Lenawasser über das Feuer und schälen Kartoffeln. Der Regen wird immer stärker und schließlich ist unser Küchendienst bis auf die Haut durchnässt. Also essen wir unsere Mahlzeit bei strömendem Regen im Zelt. Gegen Mitternacht hört der Regen endlich auf und wir hängen unsere nassen Sachen auf Stöcken am Feuer zum Trocknen auf.
Wir wickeln uns in unsere Schlafsäcke ein – es wird kalt in dieser Nacht. Die Temperatur liegt nur im einstelligen Bereich. Wir sind froh darüber, direkt am Strand auf unseren Iso-Matten zu schlafen, wo der Permafrostboden wegen der Lena unterbrochen ist. Morgen müssen wir wieder packen. Dann geht es mit der „Buotama" acht Stunden flussaufwärts zu den Lena-Felsen.